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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli Paulus
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grosses Thema,
schliesslich hatte Moritz sichtbare Fortschritte gemacht und viel zu erzählen.
    «Machen wir auch so Worte an die Wand, Papa?», fragte er, nachdem er
ausführlich über seine Erfolge berichtet hatte.
    «Was denn für Worte?», fragte Freisler, während er weiterkaute.
    «Ach, da waren so Sgraffitos an der Kirchturmwand bei der Glocke»,
sagte seine Frau. «Irgendwelche Worte haben sie da reingeritzt, keine Ahnung,
warum, aber sieht hübsch aus.»
    Freisler hielt inne. «Worte an der Kirche?»
    Seine Frau wunderte sich über sein reges Interesse. Normalerweise
kümmerte er sich nicht allzu sehr um das, was Moritz und sie beim Essen
erzählten. Für seine Verhältnisse geradezu explosiv löste er sich von seinem
Stuhl und zog die Schuhe an.
    «Was ist denn jetzt los?», fragte sie.
    «Ich muss mir das anschauen», erwiderte er und ging.
    * * *
    «Handelt es sich um sieben Worte?», fragte Sabina, als sie am
Mittwochmorgen einen Anruf aus Andeer erhielt. Sie verkniff sich zunächst einen
Kommentar. Innerlich aber jubilierte sie.
    «Stier, Auge, Blut, Wasserkirche, Limes, Bräutigam, Esprit», zählte
Freisler. «Ja, sieben.»
    «Bitte senden Sie mir Fotos von der Wand, Herr Freisler», sagte
Sabina, und nicht unfreundlich fügte sie an: «Manchmal gibt es eben doch Dinge,
die es vorher noch nicht gegeben hat, hm?»
    Sie hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, die Sache auf sich beruhen
zu lassen, aber sie konnte die anfängliche Haltung des Kollegen einfach nicht
unkommentiert lassen. Mit Genugtuung hörte sie sein trockenes Schlucken im
Telefon.
    «Ich hätte das wirklich nicht für möglich gehalten», drang es nach
einer kurzen Pause in geradezu kniefälliger Haltung aus dem Hörer.
    «Schicken Sie mir bitte die Bilder. Ich melde mich», beendete Sabina
das Gespräch und ballte die Faust. Den Triumph konnte ihr niemand mehr nehmen.
Es war höchste Zeit, die Kollegen zu informieren.
    Die Worte waren untereinander in die weisse Wand geritzt worden.
Durch den darunterliegenden Putz traten sie grau hervor. Sabina zoomte die
Buchstaben heran und erkannte, dass es dieselbe Schrift war wie bei den Steinen
aus dem Bus. Klar schraffierte graue Flächen auf weisser Wand, archaisch
anmutend in ihrer Schlichtheit, dazu um jeden Buchstaben ein feines graues
Quadrat, sodass sie wie Würfel nebeneinanderstanden. Diese Buchstaben wirkten
altertümlich, ein wenig wie römische Ziffern oder Inschriften auf uralten
Grabplatten.
    Fünfzehn Minuten später sassen die wichtigsten Kriminalisten der
Kantonspolizei in einem kargen Besprechungszimmer zusammen und wurden über den
aktuellen Stand der Ermittlungen informiert. Sabina hatte rasch eine
Präsentation der wichtigsten Indizien zusammengestellt: Fotos der Steine, Fotos
vom Kirchturm, Fotos der vermissten Frauen und eine Karte, auf der die Wohnorte
und die letzten Aufenthaltsorte der beiden markiert waren.
    «Die Sache mit den Worten muss unbedingt intern bleiben», ordnete
Oberstleutnant Spescha, der Chef der Kriminalpolizei, an. «Wenn wir das an die
Öffentlichkeit geben, gibt es möglicherweise Trittbrettfahrer. Dann ist bald
der ganze Kanton ein Wörterbuch.» Die Anwesenden lachten. «Übrigens gute
Arbeit, Frau Lindemann.»
    Sabina lächelte, Malfazi verbarg sein Gesicht hinter einem Ordner.
    «Sollen wir die Bevölkerung warnen?», fragte Mario Hemmi, der für
die Pressearbeit zuständige Polizist.
    «Auf keinen Fall», erwiderte der Polizeichef. «Die ganze Panikmache
übernehmen sicher die Medien. An alle Polizeiposten in Graubünden und in den
anliegenden Kantonen geben wir Fotos der Vermissten und Fallbeschreibungen
heraus. Und bitte auch an die italienischen Kollegen in den Grenzregionen.
Vielleicht hat man die Frauen ja dort gesehen.»
    Als die Sitzung beendet war, besprachen Sabina, Heini und Malfazi
das weitere Vorgehen.
    «Ich beschäftige mich mit den Worten», sagte Sabina.
    «Häng die Listen in unseren Büros aus und lass unter jedem Begriff
Platz für weitere Assoziationen», schlug Heini vor.
    «Von mir aus», sagte Malfazi, «der Täter will uns ja offenbar irgendwas
mitteilen, wenn es ihn überhaupt gibt.»
    «Wie, wenn es ihn gibt?», fragte Sabina.
    «Verschlüsselte Botschaften», spottete Malfazi, «ich glaub das
nicht. Ach übrigens, Sabina: Findest du nicht, dass du die Steine hättest
früher ins Spiel bringen können?»
    «Ich hab sie gebeten, erst Beeli eine genaue Untersuchung machen zu
lassen», sprang ihr Heini zur Seite. «Sie

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