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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli Paulus
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Grund galt er als einer der gewieftesten Ermittler in
Graubünden. Sabina wechselte die Tonart von lustig auf ernst.
    «Wir müssen reden.»
    «Das klingt nach Problemen. Worüber willst du reden?»
    «Über Malfazi, wenn ich ehrlich bin. Er ist komisch.»
    «Er ist halt ein typisches Alpha-Mannsbild», sagte Heini, «ein
Testosteronfass. Da tut sich so ein Alpha-Weibsbild wie du natürlich schwer.»
    «Nein, das meine ich nicht», sagte Sabina. «Dass er ein Depp sein
kann, weiss ich. Aber irgendwas stimmt nicht mit ihm in den letzten Tagen.»
    «Vielleicht Frauengeschichten?»
    «Ich hab ihn noch nie mit einer gesehen.»
    «Früher hat er hier jede Kollegin angemacht. Als er dann Chef des
Spezialdiensts wurde, hat es sich ein bisschen gebessert.»
    «Also meinen Arsch hat er täglich im Visier», lachte Sabina. «Wie
ist er überhaupt Chef geworden?»
    «Er hat einen Mordfall aufgeklärt», sagte Heini. «Die Hauptarbeit
hat damals allerdings ein Kollege gemacht.»
    «Und?», fragte Sabina.
    «Der Kollege hat seinen Dienst quittiert, nachdem Malfazi befördert
wurde.»
    «Malfazi hat sich mit fremden Lorbeeren geschmückt?»
    «So kann man es ausdrücken.»
    «Ist das bekannt?»
    «Er ist seither nicht mehr befördert worden.»
    «Und das nagt an ihm, oder wie?»
    «Viel schlimmer ist es wahrscheinlich», grinste Heini, «dass sie ihm
jetzt dieses junge, begabte Ding aus Zürich an die Seite gestellt haben. Das
ist für Malfazi eine Kampfansage. Du bist eine Bedrohung für ihn.»
    So direkt hatte ihr das bisher noch niemand gesagt.
    Für den Nachmittag verabredete sich Sabina mit den beiden
Freundinnen von Iris Grenz, die gestern gemeinsam mit ihr im Schwimmbad gewesen
waren. Sie traf sie beim Kiosk an der Kirche in Zillis. Beide waren über das
Verschwinden der Freundin sehr besorgt.
    «Die Iris ist eine ganz Zuverlässige», sagte Melanie Giger, «die
würde nie fortfahren, ohne Bescheid zu geben.»
    «Und sie hat überhaupt nicht erwähnt, dass sie fortwill», sagte die
zweite Freundin. «Wir waren ja am Nachmittag im Bad und hatten uns für heute
zum Spazierengehen verabredet. Das macht man doch nicht, wenn man was anderes
vorhat.»
    Zum ersten Mal war sich Sabina sicher, dass die beiden
Vermisstenfälle zusammenhingen und dass es sich möglicherweise um den Beginn
einer Serientat handelte. Die Art und Weise, wie die Frauen das Verschwinden
von Iris Grenz bewerteten, liess kaum einen anderen Schluss zu, als dass es
sich um ein Verbrechen handelte.
    Um siebzehn Uhr war sie in Thusis mit Beat Tester, dem Freund
von Iris Grenz, verabredet. Sie stellte ihren Wagen in der Hauptstrasse ab und
ging die letzten Meter zum Modeladen der beiden zu Fuss. Im Schaufenster war
eine Art Dschungel aufgebaut: eine Phantasielandschaft aus Baumstämmen,
Blätternetzen, Lampen und Kleidern, dazu die Logos einiger Modelabels. Im
Inneren konnte man eine Theke und ein paar Umkleidekabinen erkennen. Sabina
klopfte an.
    «Moment», hörte sie eine sonore Männerstimme rufen. Aus einem
Hinterzimmer kam ein athletischer Mann um die dreissig und öffnete die
Ladentür.
    «Sabina Lindemann, wir haben telefoniert», stellte sie sich vor.
    «Grüezi, Frau Lindemann, kommen Sie rein.»
    «Sie arbeiten wohl auch am heiligen Ostermontag?»
    «Lieber vertiefe ich mich in die Arbeit, als dass ich nur noch
grüble. Am Feiertag kann man wenigstens ein bisschen Ordnung machen.»
    «Sicher», sagte Sabina, «ich kann verstehen, dass Sie versuchen,
sich abzulenken.»
    «Wenn ich nur wüsste, was ich tun kann!» Tester blickte Sabina fast
flehend an.
    «Sie können im Moment leider wenig tun, Herr Tester. Erzählen Sie mir
am besten, was Sie beide die letzten Wochen gemacht haben. Wo Sie waren. Wen
Sie getroffen haben. Und falls Iris etwas alleine unternommen hat, wäre es
natürlich auch gut zu wissen, was, wann und wo.»
    Das Gespräch dauerte fast anderthalb Stunden. Sabina schrieb mehrere
Seiten ihres Notizbuchs voll, machte Fragezeichen bei Dingen, die sie
überprüfen wollte, und Ausrufezeichen bei Aspekten, die ihr besonders wichtig
erschienen.
    «Sagen Sie, ist Iris eigentlich gläubig?», wollte sie zum Schluss
wissen. Beat Tester wand sich offensichtlich um eine Antwort.
    «Das ist so ein Thema für sich», sagte er. «Ich halte von diesem
christlichen Zeug nichts und, na ja, also wir vermeiden das Thema. Aber: Ja,
sie hat da einen Bezug dazu.»
    Gegen halb sieben verliess Sabina die kleine Modeboutique und machte
sich auf den Weg nach Chur.

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