Schattengott
Kirche nach Hause gehen. Alle
nah beim Wald. Und dann plötzlich. Niemand würde etwas bemerken. Würde jeder
seinen Stier bändigen. In der Nacht würden sie die Frauen nach oben bringen.
Sie würden drei Wagen stehlen und die Opfer danach umladen in einen vierten. Am
Morgen musste auch die Botschaft ankommen. Die christlichen Würdenträger
sollten die Bilder sehen. Und die Angst spüren. Er hatte alles in die Wege
geleitet. Noch vor der Messe würde die Botschaft beim Bischof eintreffen. Es
war so weit.
* * *
In der Nacht auf Pfingsten zog Claudio Malfazi über fünfzig
Polizisten der Kantonspolizei zu einem Sondereinsatz zusammen. Mit
Nachtsichtgeräten überwachten sie die vier Orte, die er in Schlorfs Ordner
gefunden hatte: die Felsen von Carschenna, die Burg Hohen Rätien, die
Felszeichnungen bei Savognin und die uralte Kirche St. Martin in Zillis.
Sollte an diesen Orten irgendetwas vorfallen, wäre Malfazi sofort dort. Darüber
hinaus zeigte die Polizei enorme Präsenz auf Strassen und öffentlichen Plätzen.
Doch nichts geschah.
Teil 3
«Nun kommt das Ende über dich.
Denn ich will meinen Zorn über dich senden
und will dich richten, wie du verdient hast,
und will alle deine Gräuel über dich
bringen.»
Hesekiel 7,3
1
Als Gianna Zaccari am Morgen des Pfingstsonntags in ihr
Büro im bischöflichen Schloss kam, wollte sie noch einmal die E-Mails abrufen,
die an den Bischof von Chur geschickt worden waren. Ihre Vertreterin sollte ein
rundum aufgeräumtes Büro vorfinden, wenn sie im Urlaub war. Neben
kircheninternen Mitteilungen fiel ihr eine Mail mit dem Betreff «Sacrificium»
auf. Sie enthielt nichts als einen Link. Gianna Zaccari hatte die Anweisung,
unsinnige Mails zu entfernen und nicht an den Bischof weiterzuleiten. Daher
klickte sie den Link an, um zu prüfen, was er enthielt.
Das Video, das sie sah, sollte sie nie mehr vergessen.
Eine Frau. Nackt. Eine Art Priester. Ein rotes Gewand. Ein Messer.
Zwischen ihren Beinen. Das Blut fliesst. In einen Kelch. Ein anderer Mann. Er
hält den Kelch. An den Wänden Fackeln. Ein Altar. Noch eine Frau. Sie schreit
nicht einmal. Das Blut. Ein Felsen. Symbolhafte Kreise. Drei Frauen. Nackt.
Tot. Wie Gekreuzigte. Die Arme ausgestreckt. Die Augen tot. Der Nebel.
Schwärze.
Gianna Zaccari verstand die lateinische Botschaft nicht, die sie
gehört hatte. Aber sie hatte die Bilder verstanden. Bis zur Pfingstmesse war es
noch etwa eine Stunde. Genug Zeit, um den Generalvikar zu informieren.
«Kommen Sie schnell in mein Büro, bitte», flehte sie ihn an und
legte mit zitternder Hand den Hörer auf. Fünf Minuten später war der
Generalvikar bei ihr.
Stumm wies sie auf den Bildschirm.
Der Generalvikar klickte auf den Link und sah die Bilder. Seine
Augen weiteten sich, sein Gesicht versteinerte. Er erkannte die Felsen von
Carschenna. Auch konnte er den lateinischen Text dekodieren, den eine tiefe
Männerstimme sprach. Mehrmals liess er das Video ablaufen und notierte sich die
Worte auf einem Zettel. Dann hatte er den ganzen Text übersetzt:
Eure Kirchen werden leer sein und verfallen,
wie unsere Heiligtümer verfallen sind.
An sieben Orten in sieben Jahren
wird das Blut des Stiers vergossen werden.
Und ihr werdet die Angst ernten, die ihr damals
gesät habt.
Es wird die treffen, die das Kreuz tragen
und deren Ahnen sich im Namen Eures Heilands
versündigt haben.
Im Schatten der Schlucht beginnt das Sühnen,
und es wird nicht enden, bis das Schwert der
Gerechtigkeit ruht.
Noch vor der Messe informierte der Generalvikar den Bischof. Der
oberste Geistliche hatte bereits das Messgewand angelegt und war ausser sich ob
der Störung so kurz vor der Pfingstmesse. Als er das Video gesehen hatte,
entschuldigte er sich für seine Schelte.
«Ich werde es umgehend an den Vatikan weiterleiten. Und natürlich an
die Polizei.»
Keiner der Anwesenden zweifelte daran, dass die Botschaft ernst zu
nehmen war. Die Bilder zeigten keine gespielte Inszenierung, sie zeigten die
Morde an den drei Frauen, die an Christi Himmelfahrt auf den Felsen von
Carschenna gefunden worden waren. Diese Botschaft war eine Drohung gegen die
Gesamtheit der christlichen Kirchen.
Das Licht durchdrang die bunten Kirchenfenster und malte
farbenfrohe Muster auf den Boden. «Veni, Sancte Spiritus. Et
emitte caelitus. Lucis tuae radium», erhob der Bischof seine Stimme,
nachdem die Orgel verebbt war. Dann verstummte er und senkte die Arme. Ein kaum
merkliches Raunen ging durch die
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