Schattengott
könnten.
Die Polizisten durchkämmten sämtliche Wohn- und Kellerräume.
Ergebnislos. Dann konzentrierten sie sich auf das Zimmer, in dem Schlorf
gewohnt hatte.
«Seine Kammer war direkt unter dem Dach», sagte Rosenacker. «Sie
steht seither leer. Neben der Kammer ist der Dachboden. Und ein kleines Bad.
Sehen Sie sich gerne überall um.»
Malfazi und sein Team gingen gründlich vor. Sie drehten sämtliche
Möbel in Schlorfs Kammer um, lüfteten die Matratze, nahmen den Boden des
Schranks heraus, sahen unter dem Teppich nach. Nichts. Auch im Bad war nichts
zu finden. Malfazi hatte die Anweisung gegeben, Haare und andere DNA -taugliche
Spuren zu sichern, doch die Putzfrau hatte ganze Arbeit geleistet.
Blieb noch der Dachboden. Malfazi nahm den Haken und zog die
knirschende Klappleiter von der Decke zu sich herunter. Zusammen mit drei
Kollegen kletterte er hinauf. Neben alten Dachziegeln und Zementsäcken wurden
hier Möbel, Stühle, ja sogar zerrissene Ölbilder, alte Rahmen, ein Klavier und
ein alter Kontrabass gelagert.
«Ich will, dass wir diesen Ordner finden. Vielleicht ist er irgendwo
hier.» Malfazi war noch lange nicht so weit, die Suche abzubrechen.
Die Polizisten schoben Möbel hin und her und hoben schwere
Bilderrahmen zur Seite. Hinter einem alten Eichenschrank stand eine riesige
dunkle Standuhr mit goldenem Zifferblatt.
«Schau mal in den Uhrenkasten, da versteckt sich die Geiss im
Märchen», sagte Malfazi. Der Kollege öffnete den Uhrenkasten und lachte. Auf
dem Boden der Uhr lag ein schwarzer Ordner. Er nahm ihn heraus, klappte ihn auf
und rief: «Bingo – die Märchenstunde beginnt!»
Malfazi stürzte sich auf den Ordner wie ein Löwe auf ein Stück
Fleisch. Hier waren sie, Schlorfs Aufzeichnungen, seine Experimente mit dem
Wörterbuch, und wie sich schnell herausstellte, auch diverse Aufzeichnungen,
die mit den Morden zusammenhingen: Kopien von Landkarten, Hinweise auf mögliche
Tatorte, sogar Initialen der Opfer. Malfazi triumphierte innerlich. Das war der
Durchbruch. Und er war derjenige, der die entscheidende Durchsuchung geleitet
hatte.
Malfazi brachte den Ordner zur erkennungsdienstlichen
Untersuchung und liess einen identischen Ordner mit Kopien anlegen. Er schloss
die Tür seines Büros und vertiefte sich in die Aufzeichnungen.
Etliche Blätter enthielten je eine Frage und dazu je sieben Worte
als Antwort. Teilweise einfache Wörter wie «Wasser» oder «Wind», teilweise
zusammengesetzte wie «Feuertaufe» oder «Blumenmeer». Viel interessanter aber
war der hintere Teil des Ordners. Hier fanden sich Unterlagen über die Felsen
von Carschenna. Ferner Bilder der Burg Hohen Rätien, eine Schrift über die
Kirche in Zillis, Kopien aus einem Buch über Felszeichnungen oberhalb von
Savognin. Die Kopie eines Artikels über Höhlen in Graubünden. Und ein Blatt,
auf dem Termine standen: der Tag, an dem Katharina Jakobs verschwunden war,
Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten, Fronleichnam und, dick eingekreist, der 15. Juni,
mit dem Verweis «Mondfinsternis».
Mehrere Klarsichtfolien waren allerdings leer. Hier hatte Schlorf
offenbar Material entfernt. Ausserdem fehlten bei manchen Blättern Teile, die
anscheinend abgerissen worden waren. So fand sich ein Blatt, auf dem die
Initialen « KJ »
standen, dazu der Vermerk «Linie 541, Post Zillis», ferner die Initialen « IG »
und der Vermerk «Andeer». Der grosse Rest des Blattes und vermutlich auch
etliche andere Blätter fehlten – möglicherweise mit Notizen zu anderen
Opfern.
Malfazi lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Schlorf hatte die Morde
geplant, so viel schien sicher. Aber hatte er sie auch ausgeführt, und wenn ja,
hatte er es allein getan? Oder hatten auch andere Bewohner des Schlosses etwas
damit zu tun? Er musste dringend mehr über sie erfahren.
Malfazi setzte einen Kollegen auf die Biografie von Jean Redolfi an,
liess ein Dossier über Matthew Sanderson anlegen und gab Recherchen zu Rúna
Hauksdóttir in Auftrag. Die Kollegen aus Thusis sollten ein Dossier über Alfred
Rosenacker anlegen. Schloss Mondfels war der Schlüssel zu den Morden, da war
sich Malfazi sicher.
12
Am schnellsten bekam Malfazi die Informationen über Redolfi.
Dank der Hilfe französischer Kollegen erfuhr er, dass ein Jean Redolfi im Alter
von achtundvierzig Jahren in Burgund gemeldet war. Wie die Recherchen ergaben,
arbeitete er als freier Berater für die naturora AG in Dijon. Er war nicht
verheiratet, hatte keine Kinder, war nicht Mitglied in
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