Schattengott
Rückwärtsgang rein», rief sein Kollege. «Schnell, verdammt.
Mach schon!»
Doch es war zu spät. Schon schoss eine riesige Staubwolke durch den
Tunnel und begrub das Auto unter einer dichten Staubdecke.
«Raus hier!», schrie der Fahrer und riss die Tür auf. Sofort atmete
er Staub ein und musste husten. Der Beifahrer hielt sich seine Jacke vor den
Mund und stieg ebenfalls aus.
Unter heftigem Husten und mit tränenden Augen tasteten sie sich
zurück zur Tunneleinfahrt und setzten sich erschöpft auf die Leitplanke der
Viamala-Strasse. Von dort aus funkte der Beifahrer Malfazi an.
«Hier ist der Tunnel eingestürzt!», meldete er atemlos. «Ruf die
technischen Hilfsdienste und die Feuerwehr. Da ist kein Durchkommen. Und Vorsicht:
akute Einsturzgefahr!»
Malfazi schaltete sofort und funkte die Kollegen am anderen Ende
der Viamala an.
«Fahrt auf der Stelle zum Parkplatz am Viamala-Kiosk», befahl er.
«Aber Vorsicht – es ist ernst!»
Nach zwei Minuten erhielt er einen Funkspruch, dass auch von Süden
her die Strasse verschüttet sei.
«Fuck!», schrie er und funkte Sabina an.
Doch ihr Funkhandy blieb stumm.
Malfazi spürte, wie ihm am ganzen Körper der Schweiss ausbrach.
Sollte es diesem Dreckskerl tatsächlich gelungen sein, sie zu verarschen? Das
Signal des Defenders war erloschen, der Peilsender offenbar zerstört.
Er benachrichtigte die Feuerwehr und beorderte einen Hubschrauber
zur Schlucht. Sie mussten so schnell wie möglich die Strasse freiräumen, um ins
Innere der Schlucht vorzudringen. Es ging um Sabinas Leben.
Sie ist Sternzeichen Stier, dachte er. Und war nicht ihr
Urgrossvater Pfarrer im Schams? Wie blöd bin ich eigentlich?
Heini riss ihn per Funk aus seinen Gedanken. «Im unmittelbaren
Bereich der Schlucht gibt es nur zwei Felsräume, die zu Ausstellungszwecken
genutzt werden», rief er. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass das der ideale
Platz für ein Ritual ist. Aber möglich ist alles.»
«Wir klären das. Wie sieht es mit Rettungskräften aus?», fragte
Malfazi. «Kriegen wir irgendwie jemanden in die Schlucht?»
«Mit einem Hubschrauber ist es schwierig», sagte Heini, «das sind
dreihundert Meter steile, sehr enge Schieferwände.»
«Kann man jemanden abseilen?»
«Sicher», sagte Heini, «aber es führt kein Weg daran vorbei, das
Geröll zu beseitigen und die Strasse freizubekommen.»
«Ist gut, ich melde mich, wenn wir in der Schlucht sind.»
Malfazi liess mehrere Einsatzkräfte vom Hubschrauber aus
abseilen und schickte einen Trupp über die Geröllfelder. Der Mond war
inzwischen völlig verdeckt. Die Schlucht lag in kompletter Dunkelheit.
Die ersten Polizisten erreichten den Viamala-Kiosk gegen
dreiundzwanzig Uhr fünfzehn. Sie suchten mit Taschenlampen zunächst den
Parkplatzbereich ab, dann den Tunnel zwischen Kiosk und Brücke sowie die
Ausstellungsräume im Berg, zuletzt noch das kurze Strassenstück bis zum
südlichen Bergsturz. Nirgends war jemand zu sehen. Nirgends war der Defender zu
entdecken.
«Keine Anzeichen von Menschen, kein Auto auf der Strasse», funkte
der Teamleiter an die mobile Einsatzleitung.
«Verdammt, wo sollen die denn sein?», schrie Malfazi. «Heini», rief
er über Funk, «fällt dir dazu was ein?»
«Mit einem Auto nach oben über die Felswände zu entkommen ist
unmöglich», antwortete Heini. «In die Schlucht runter führt auch kein Fahrweg.
Der Defender ist schlicht verschwunden. Das ist … absurd.»
Malfazi wandte sich wieder an den Teamleiter. «Kontrolliert die
beiden verschütteten Strassenenden und überprüft, ob der Wagen unter dem Schutt
begraben ist. Wahrscheinlich hat der Idiot sich mit dem ganzen Berg in die Luft
gesprengt.»
«Und Sabina mit sich», sagte Heini. Malfazi schwieg.
Es dauerte mehrere Stunden, bis Feuerwehr und technische
Hilfsdienste die Tunnelstrasse von Norden her freigeräumt hatten. Redolfi hatte
nur den hintersten Teil des Tunnels gesprengt und den fast senkrechten Hang
darüber ins Rutschen gebracht, der Rest der Röhre war stabil.
Malfazi erreichte die Schlucht gegen drei Uhr. Er hatte die ganze
Zeit über die Überwachungskameras im Blick gehabt. Doch sowohl bei den Kirchen
als auch an den Kultplätzen blieb es ruhig. Auf dem Parkplatz und unter dem
Geröll war keine Spur von Redolfis Auto. Auch weiter oben, jenseits der alten
Brücke, war nichts zu sehen. Zwischen dem nördlichen und dem südlichen
Bergsturz lag ei-ne komplett leere Strasse.
«Gibt es hier einen Schacht, irgendeine
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