Schattengott
Möglichkeit, ein Auto zu
verstecken?», fragte Malfazi den Einsatzleiter der Feuerwehr.
«Bei der Brücke gibt es zwei alte Lagerräume im Berg, aber da ist
nix. Ansonsten gibt es nur die Schlucht.»
«Könnt ihr die komplett ausleuchten?»
«Wir können es von der Brücke aus versuchen.»
Die Drehleiter hing waagrecht über der Schlucht – unter ihr
fast hundert Meter Tiefe. Die Lampen waren mehrere tausend Watt stark und
bohrten einen hellen Keil in die Schwärze. Zunächst erkannte man nur Wasser und
Felsen, doch dann sah man es: Am Ende des Keils, nah an der Felswand, trieben
Trümmer eines schwarzen Wagens im Wasser.
Malfazi forderte Taucher an. Die Schlucht war inzwischen von
mehreren Kranwagen erleuchtet. Polizisten und Feuerwehrleute bargen einzelne
Teile des Defenders. Malfazis Gedanken drehten sich nur um eine Frage: Wo war
Sabina?
Die Taucher suchten die komplette Schlucht ab und setzten mehrere
Unterwasserscheinwerfer ein. Von Redolfi und Sabina fehlte jede Spur.
Um drei Uhr siebenundfünfzig erhielt Malfazi einen Funkruf von
Heini.
«Habt ihr sie gefunden?», fragte er.
«Nein, sie sind wie vom Erdboden verschluckt.» Malfazi konnte selbst
hören, wie hoffnungslos er klang. «Sie müssten ja im Wasser treiben. Wenigstens
einer der Körper oder irgendein Körperteil. Aber da ist nichts.»
«Dann waren sie nicht im Auto», schloss Heini. «Er hat den Defender
auf zwei Brettern über die Brückenmauer bugsiert und in der Schlucht versenkt.
Sie sind zu Fuss weiter oder mit einem Maultier.»
«Du machst Witze, oder?»
Heini wurde laut. «Malfazi, ich mach keine Witze, verdammt. Schau
nach, ob da irgendwo Spuren sind. Vom Parkplatz führt ein Pfad zur Veia
Traversina, das ist der einzige Fussweg raus aus der Schlucht. Vielleicht sind
sie da lang.»
Nach fünf Minuten fand Malfazi die Maultierabdrücke im Gebüsch
hinter dem Parkplatz. Sie führten hinauf zum Traversiner Tobel, einem derart
steilen und unwirtlichen Gelände, dass eine Verfolgung mit so viel Rückstand
unsinnig erschien, zumal die Spuren sich bald auf steinernem Grund verloren.
«Ich schicke zwei Trupps hinterher, aber Redolfi hat zu viel
Vorsprung. Wir müssen es mit den Hubschraubern versuchen», funkte Malfazi nach
Chur.
«Okay», sagte Heini. «Am Ende des Tobels kreuzt ein Weg, der aufs
Muttner Horn oder runter nach Carschenna führt. Ich habe die Karten studiert.
Da ist nirgends eine Höhle eingezeichnet. Aber möglicherweise führt ein Weg zur
Alp Taspegn. Da oben sind die alten Silberminen. Das ist ein weit verzweigtes
Schachtsystem. Da könnten sie sein.»
«Die Silberminen», sagte Malfazi. «Verdammt. Da oben kommt bis Mitte
Juni kein Mensch vorbei. Und es gibt sogar einen Zufahrtsweg. Ja, das ist es.»
Seine Halsschlagader pulsierte. Er hatte über hundert Höhlen
observieren lassen, auf die Silberminen war er nicht gekommen. Eben weil sie
nicht als Höhlen geführt wurden, weil sie in keinem Verzeichnis von Bündner
Höhlen auftauchten.
Als Sabina wieder zur Besinnung kam, lag sie auf einer einfachen
Pritsche. Um sie herum war es kühl. Sie war nackt, nur eine Decke war über ihr
ausgebreitet. Ihre Hände und Füsse waren gefesselt. Sie musste sich in einer
Höhle oder einem Schacht befinden. Die Wände waren aus Stein. Ab und zu fiel
ein Tropfen von der Decke. Sie kannte das Gestein mit den braunen Adern und den
glitzernden Splittern. Es war Erz, das Mineralgestein, aus dem Silber gewonnen
wurde. In ihrer Kammer leuchteten drei Kerzen. Von irgendwoher drangen Stimmen
an ihr Ohr. Ein Singsang. Sie kannte die Geräusche. Die Videobotschaft der
Opferung war mit ähnlichen Klängen untermalt gewesen.
Jetzt erst begriff sie, was los war. Sie war in der Mithrashöhle.
Sie war das siebte Opfer. Ihr wurde eiskalt. Panisch rüttelte sie an den
Fesseln. Keine Chance. Ihr Herz bohrte sich fast durch die Brust. Ruhig, sagte
sie sich, atme ruhig. Die Yogaatmung half ihr vorübergehend, nicht zu
hyperventilieren. Kalter Schweiss stand auf ihrer Stirn.
Die Tür zur Kammer öffnete sich. Ein grosser Mann mit schwarzer
Maske betrat den Raum und beugte sich über sie. In seiner Hand hatte er eine
Spritze. Sie versuchte, sich zu wehren, doch es war sinnlos. Sie spannte ihren
Körper an. Spürte den Einstich. Wenig später fiel sie in eine warme, lichte
Glückseligkeit.
Um vier Uhr zwei rasten Malfazi und vier weitere Polizisten in
einem Jeep an dem Geröllberg vorbei, den die Feuerwehr mit den Hilfsdiensten
mühsam von der
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