Schattengott
und verliess zusammen mit
den beiden Messdienern fluchtartig den Raum. Redolfi wusste, dass sie durch die
Geheimtür in einen der hinteren Zugangsschächte gelangen würden, ein Bereich
des Schachtsystems, den niemand ausser ihnen kannte.
Der Stumme stürmte den Eindringlingen entgegen, um sie abzuwehren.
Redolfi kauerte regungslos auf den Knien.
Er wusste, was er zu tun hatte. Niemals konnte er es zulassen, dass
sie ihn jetzt ergriffen. Alle Rituale waren so vollzogen worden, wie er es
geplant hatte. Er hatte alle Stufen erklommen, hatte alles für seinen Gott und
die Mithras-Gemeinschaft getan. Und nun? Verliess ihn sein Gott? Gab er ihn
seinen Peinigern preis? Sollte er sich wieder in die blutigen Hände dieses
Christengottes und seiner weltlichen Richter begeben?
Er war der Erlösung so nahe. Er musste nur noch den siebten Stier
opfern. Dann ein einziger Schnitt an seiner Kehle. Und er würde für immer frei
sein. Mit zitternder Hand umgriff er den Dolch und setzte ihn zwischen den
Beinen seines Opfers an. Er sah das Bild seiner Mutter. Das Blut. Die
durchschnittene Kehle. Die Fasern ihres blutigen Halses. Das Kruzifix mit der
Dornenkrone über ihrem toten Körper. Ihre toten Augen. Er schrie.
Da hörte er hinter sich eine Stimme. Sein ganzer Körper wurde
geschüttelt. Seine Hand verkrampfte sich. Blindlings stach er zwischen die
Beine seines Opfers. Dann führte er den Dolch zu seiner Kehle und zog die
Klinge durch.
Erlöse mich, Mithras, war sein letzter Gedanke. Im selben Moment
durchbohrte ihn ein Schuss.
* * *
Sie waren in einem erleuchteten Höhlenraum. An den Wänden
loderten Fackeln. Auf einer Art Steinaltar lag Sabina. Nackt. Besinnungslos.
Blut zwischen ihren Beinen. Vor dem Altar lag Redolfi. Das Blut lief in Strömen
aus seinem Hals. Er hatte sich die Kehle durchtrennt. Dazu hatte sich Malfazis
Schuss auf Höhe der Lunge in seinen Rücken gebohrt.
Malfazi hastete zu Sabina, beugte sich über sie und fühlte ihren
Puls. Sie lebte.
«Schnell, wir brauchen einen Notarzt!», schrie er, zog sein Hemd aus
und presste es zwischen ihre Beine.
Sabina lag in eine Decke gehüllt vor dem Schacht. Sie war noch
immer ohne Bewusstsein, aber dank Heinis Geistesgegenwart ausser Lebensgefahr.
Er hatte einen Rettungshubschrauber zur Alp beordert, als sich die Geschehnisse
zugespitzt hatten, und die Sanitäter hatten die Wunden rechtzeitig stillen
können. Es waren mehrere oberflächliche Schnitte an Oberschenkeln, Venushügel
und Schamlippen. Redolfi war wohl zu aufgewühlt gewesen, um gezielte Schnitte
auszuführen.
Keine zehn Meter neben Sabina lag der Mann mit der Maske. Er blutete
heftig und hatte offensichtlich starke Schmerzen. Malfazis Schuss hatte ihm die
Kniescheibe zerfetzt.
Die Polizisten untersuchten das Höhlensystem und fanden mehrere
Zugangsschächte zu dem Ritualraum. Ob ausser Redolfi und dem Mann mit der Maske
noch jemand in den Schächten gewesen war, liess sich nicht mit Sicherheit
sagen. Malfazi meinte, der Gesang habe möglicherweise von mehr als zwei Männern
gestammt, sicher war er sich allerdings nicht. Er gab eine Suchmeldung für die
Gegend zwischen Muttner Horn und Piz Curvér aus. Man suche weitere Männer,
möglicherweise, wie Redolfi, in kultischen Gewändern.
Heini, der inzwischen die mobile Einsatzleitung übernommen hatte,
zog alle dreihundert Mann von den Zielen rund um die Viamala-Schlucht zusammen.
Sie durchkämmten in den Morgenstunden des Samstags den Wald, das Gebirge und
die zugänglichen Schächte der alten Silberminen. Drei Hubschrauber kreisten
über dem Areal. Doch sie fanden nichts ausser einem schwarzen Chryslerbus ohne
Kennzeichen, der in einer verfallenen Scheune auf halbem Weg zu den Minen am
Waldrand versteckt war. Darin standen auch drei Motorräder mit, wie sich
schnell herausstellte, gefälschten Nummernschildern, einige Heuballen und
Futtersäcke für die Maultiere.
11
Redolfis Leichnam war zur gerichtsmedizinischen
Untersuchung ins Kantonsspital gebracht worden. In seine Brust waren sechs
Symbole eingebrannt. Das siebte Mal hatte er nicht mehr erhalten, weil die
Polizisten das Ritual gestört hatten.
Aus dem Maskierten, der noch immer im Kantonsspital lag, war nichts
herauszubekommen. Nach der Behandlung der Schussverletzung ordnete Malfazi
einen neurologischen Test an. Dabei stellte man fest, dass der Mann gehörlos
und daher stumm war. Sicher konnte er irgendwie kommunizieren, jedoch schien er
kein Interesse daran zu haben. Und so behielt er
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