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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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sich nichts ändert. Zach geriet außer sich und beschimpfte mich mit übelsten Worten. Fili …«
    Lars Urban schob sein Wasserglas weg und fuhr sich durch die Haare.
    »Fili muss bei diesem Gespräch irgendwo unter den Tischen gehockt und nur die Hälfte mitbekommen haben. Sie glaubte, ich würde den Hirschen kaputt machen. Sie platzte hier herein und war völlig außer sich. Ich habe versucht, ihr zu erklären, dass das alles nur ein Missverständnis wäre. Aber sie hatte Angst. Unendliche Angst, die einzige Konstante in ihrem Leben zu verlieren: ihr Zuhause. Ich weiß nicht, was Zach und Trixi ihr gesagt haben, aber ich könnte ihnen heute noch den Hals dafür umdrehen. Fili war wirklich der Meinung, ich wäre nur gekommen, um alles kaputt zu machen und sie auf die Straße zu setzen. Sie stand hier, mitten im Raum. So ein kleines, zartes Mädchen, das doch noch gar nichts von Geld verstand, mit Tränen in den Augen und vor Zorn gerötetem Gesicht. Sie kannte mich ja. Ich war kein Gast, sie musste keine Rücksicht auf mich nehmen. Sie schrie, ich wollte ihnen alles wegnehmen. Ich habe versucht, sie zu beruhigen. Und, ja, ich habe versucht, sie in den Arm zu nehmen und zu trösten, so wie ich das schon immer gemacht hatte. Ich war ihr Onkel Lars.«
    Urban schwieg erschöpft. Leon wollte etwas sagen, aber ihm kam nur ein kurzes, trockenes Räuspern über die Lippen.
    »Aber sie wollte das nicht, also ließ ich sie los und versuchte, ihr zu erklären, dass es nie meine Absicht war, ihr Angst zu machen. Im Gegenteil: Ich würde sogar alles dafür tun, damit sie ihr Zuhause nicht verlieren würde. Sie war ein Kind. Sie hat es nicht verstanden oder wollte es nicht verstehen. Sie schrie nur, ich sollte weggegehen und sie in Ruhe lassen.«
    Leons Vater schloss die Augen. »Es waren die letzten Worte, die Fili zu mir sagte. Wie oft habe ich mich gefragt, was alles dazu geführt hat, dass sie weggelaufen ist. Die unerträgliche Situation in diesem Haus? Der Ton, in dem Trixi und Zach herumbrüllten und ihre Geldnot zu verarbeiten suchten? Oder war ich es, der zum bösen schwarzen Mann wurde, weil er das letzte bisschen Glück zerstören wollte, das sie noch hatte?«
    »Was sagst du da? Zum bösen schwarzen Mann?«
    Lars Urban blinzelte seinen Sohn unter schweren Lidern an und versuchte ein schwaches Lächeln. »Na ja, was man halt so von sich denkt, wenn man das Gefühl hat, einem kleinen Menschen wehgetan zu haben. Sie rief, ich sollte zurückgehen und nie wiederkommen.«
    »Geh zurück? Zurück sagte sie?«
    Urban nickte verwundert. »Ja. Zurück. Damit meinte sie Wales. Sie wusste ja noch nicht, wo das lag. Aber sie glaubte wohl, dass es weit weg war und ich dort vielleicht keine Gefahr für sie sein würde. Und jetzt erklär mir bitte, was hier eigentlich los ist.«
    Leon ging zum Stuhl und ließ sich auf ihn fallen. »Nico glaubt, du hättest … Also in diesem Haus … Sie glaubt, Fili wäre etwas Schreckliches geschehen. Sie hat mir ein Bild gezeigt, das die Kleine kurz vor ihrem Tod gezeichnet hat. Es zeigt Fili im Bett und vor ihr steht ein großer schwarzer Mann.«
    Das Rot aus Urbans Wangen verschwand. Er brauchte einen Moment, um zu erfassen, was sein Sohn gemeint hatte. »Mein Gott. Du hast geglaubt … Du hast wirklich …«
    »Nein!«, schrie Leon gequält. »Aber so, wie Nico es aufgefasst hat, hätte es durchaus sein können. Verzeih mir. Aber ich musste das fragen.«
    Das Schweigen dehnte sich aus und wurde beinahe unerträglich. Schließlich hob Urban eine Hand und berührte kurz Leons Knie.
    »Du hast recht. Das musstest du. Denn wenn es so gewesen wäre, dann wäre ich ernsthaft krank und müsste dringend in Behandlung. Aber ich schwöre dir, Leon, die Vorwürfe sind haltlos.«
    Leon spürte, wie ihm ein Stein – ach was, ein Gebirge vom Herzen fiel. Die Worte seines Vaters hatten ehrlich und aufrichtig geklungen. Er verheimlichte ihm nichts, das spürte er. Er warf ihm auch nichts vor. Und alles passte. Sein Vater hatte genau das wiederholt, was der Schornsteinfeger gesagt hatte. Aber Nico hatte etwas völlig anderes in Filis Worte hineininterpretiert, und er war drauf und dran gewesen, ihr zu glauben.
    »Wir hätten schon viel früher mit dir reden sollen.«
    »Wir? Sie hat dich ganz schön beeindruckt, die Kleine.«
    Leon nickte, aber man konnte ihm ansehen, mit welchem Widerwillen er das tat. Er brannte darauf, Nico zu erzählen, was er gerade erfahren hatte. Andererseits ging ihm diese ganze alte

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