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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Herz drücken. Aber selbst dazu fehlte ihr die Kraft. Je weiter sie in den Stollen vordrang, desto größer wurde der Impuls, umzudrehen und zurückzurennen. Dieser Fund bestätigte ihr, dass sie der Stelle, an der Fili gestorben war, immer näher kam. Nico bezweifelte mehr und mehr, ob sie überhaupt noch so weit vordringen konnte – und wollte.
    »Nico?«
    Der Ruf geisterte durch die Stollen. Sie wusste nicht, aus welcher Richtung er kam. Die Stimme war verzerrt, gebrochen durch die Windungen und Gefälle des Gangs.
    »Nico!«
    Hohl klang sie, geisterhaft. Was tun? Sich zitternd verkriechen oder zurückkehren an das Mundloch? Sie war ihrem Verfolger schon einmal entkommen. Ob es ihr in dieser Verfassung ein zweites Mal gelingen würde, stand in den Sternen.
    »Ich bin’s! Leon! Nico, wenn du da unten bist, komm raus!«
    Das Echo zerschnitt die Worte und warf sie wie Müll durcheinander. Das Einzige, das Nico verstand, war Leon. Sie fühlte sich, als ob jemand in ihrem Inneren den Heißwasserhahn aufgedreht hätte. Er war da. Er suchte sie. Alles war gut. Sie drehte sich um und lief los.
    Mit dem letzten Glühen der Taschenlampe erreichte sie den Vorraum.
    »Nico! Bist du da unten?«
    Sie wollte schreien, aber sie bekam keinen Laut über die Lippen. Als ob ihre Kehle zugeschnürt wäre. Helles, blendendes Licht tanzte über die Wände und traf sie direkt in die Augen. Es schmerzte wie die Hölle.
    »Oh mein Gott. Nico, komm rauf!«
    Warum kam er denn nicht runter? Idiot. Musste sie alles selbst machen? Mühsam gelang es ihr, noch einmal die Steigung zum Mundloch hinaufzuklettern. Mehrfach geriet sie ins Straucheln, konnte sich aber in letzter Sekunde an der Wand abstützen. Mit letzter Kraft erreichte sie das Gitter und konnte hochsehen.
    Leon stand dahinter. Die Stäbe waren zu eng gesetzt, um mit der Hand durchgreifen zu können. Aber er klammerte sich von außen daran fest und sie berührte seine Finger von der anderen Seite. Die Taschenlampe hatte er weiter unten in der Tür eingeklemmt. Sie beleuchtete jetzt den Boden und blendete nicht mehr.
    »Leon …«, krächzte sie. Mehr fiel ihr nicht ein. Sie bemerkte, wie er sie ansah. Wahrscheinlich sah sie fürchterlich aus – genau wie er. Angespannt, schmal. Seine Nase war ganz spitz und weiß. Hoffentlich fror sie ihm nicht ab. So eine hübsche Nase.
    »Gott sei Dank.« Er wies auf den Schnürsenkel. »Als ich den gesehen habe, wusste ich, dass du hier bist. Wo ist der Schlüssel?«
    Sie begriff nicht.
    »Der Schlüssel zum Schloss, Nico. Du musst ihn irgendwo haben. Erinnere dich.«
    Schlüssel? Schloss? Sie hatte gar nichts. Eine kaputte Brotdose unten im Stollen, das war im Moment das Einzige. Und eine Taschenlampe, die ihren Geist aufgegeben hatte.
    »Hab keinen Schlüssel.«
    »Aber du hast dich doch eingeschlossen. Mach auf. Ich bin da. Ich habe mit meinem Vater gesprochen. Nico, ich glaube, dass Maik …«
    »Maik? Wo ist er?«
    Seine Finger umklammerten sie. Beinahe hätte Nico aufgeschrien.
    »Ist er nicht bei dir?«
    »Er ist verschwunden. Er hat mich hier oben allein gelassen.« Sie entzog ihm die linke Hand und deutete auf das Schloss. »Das ist eins von seinen. Ich erkenne es wieder. Er hat es an seinem Gürtel gehabt. Mach auf!«
    »Ich kann nicht.«
    Nico brauchte ein paar Sekunden, um zu verstehen, was er gerade gesagt hatte. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, in welchem Zustand sie sich gegenüberstanden. Beide am Ende ihrer Kräfte, inmitten eines Schneesturms und einer so tödlichen Kälte, dass sogar Vögel wie Steine vom Himmel fielen. Und sie hatten nichts. Nichts, womit sie dieses Schloss aufbekommen könnten. Nichts, was sie aus dieser desaströsen Lage befreien konnte.
    »Hast du gar nichts dabei?«, fragte sie verzweifelt. »Autoschlüssel. Ein Taschenmesser. Irgendwas! Ein Stein? Nimm einen Stein!«
    »Hab ich alles schon versucht. Ich habe nichts dabei. Ich bin so schnell aufgebrochen, ich dachte, ich erwische dich noch. Wie kannst du denn mitten in der Nacht hier hochwollen? Und vor allem warum?«
    Nico biss sich auf die Lippen und stöhnte auf. Ihr ganzes Gesicht schien eine einzige spröde Wunde zu sein.
    »Er hat gesagt, er wollte mir was zeigen. An der Stelle, an der Fili gestorben ist.«
    »Und du hast das geglaubt?«
    »Ja was denn sonst!?«, schrie sie gegen das Heulen des Windes. Das Sprechen fiel ihr immer schwerer. Ihre Gesichtsmuskeln schienen ihr nicht mehr gehorchen zu wollen. Tief in ihr ballte sich etwas zusammen, was

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