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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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waren stehen geblieben. Nico wusste nicht, wie weit sie sich schon von ihrem Körper entfernt hatte. Sie wollte zurück.
    »Ich will nicht mit«, sagte sie. »Ich finde leben auch ganz schön. Im Moment wenigstens. Ich würde gerne noch ein bisschen weitermachen.«
    Fili nickte. Sie schien ein wenig bleicher zu werden, falls das noch möglich war. Oder verschwand langsam das Leuchten um sie herum?
    »Dann geh ich jetzt. Soll ich dich allein lassen?«
    »Nein!« Nico wollte die Hand ausstrecken und Fili zurückhalten, aber sie griff ins Leere. Das Wesen wurde noch durchsichtiger, war zart wie ein Hauch. »Geh noch nicht! Sag mir, wer dir das angetan hat. Wer hat dir wehgetan? So sehr, dass du lieber auf die andere Seite gegangen bist?«
    Fili war nur noch ein schwaches Glimmen. Der Umriss ihres Körpers schien sich aufzulösen und mit der Dunkelheit zu verschmelzen.
    »Sag es mir!«
    »Ich kann nicht!« Nun weinte das Wesen doch. Das Schluchzen war leise, so als ob es sich immer weiter von Nico entfernte. »Ich kann nicht … Leb wohl, Nico. Danke, dass du gekommen bist. Du hast dein Versprechen gehalten. Denk immer daran, du hast es gehalten …«
    Ein allerletztes Schimmern, und unmittelbar, bevor die letzte Ahnung von Filis Geist verschwunden war, sah Nico eine Zeichnung an der Wand. Ein Bett, ein schwarzer Mann, vier Buchstaben … aus. Ende. Nico fiel, und der Abgrund, der sich auftat, war bodenlos.

Achtundvierzig
    Sie schlug auf, dass es klatschte. Links, rechts. Es schmerzte höllisch und fuhr durch Mark und Bein. Ihr Körper wurde hin- und hergeschleudert, sie prallte gegen Felsen und etwas anderes, Weicheres.
    »Wach auf!« Klatsch. »Nico!« Klatsch.
    Sie hob die Hände, um die Schläge abzuwehren. Augenblicklich hörten sie auf. Jemand schnaufte neben ihr, keuchte, als ob er Stunden gerannt wäre. Es war nicht Leon. Es war Maik.
    Benommen öffnete sie die Augen und starrte in eine Horrorfratze. Maiks halbes Gesicht musste in einen Fleischwolf gekommen sein. Eine klaffende Wunde zog sich von seiner Stirn über das linke Auge und quer über die Wange. Immer noch sickerte Blut. Entsetzt versuchte Nico, von ihm wegzurücken. Aber ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr.
    »Was ist passiert?«, krächzte sie.
    »Komm mit.«
    Er zog sie hoch. Nicos Beine glitten weg. Sie strampelte und suchte nach Halt, bis sie schließlich, immer noch in Gefahr wegzurutschen, in seinen Armen hing. Sie verstand das alles nicht.
    »Du hast mich eingeschlossen?«, keuchte sie mit letzter Kraft.
    »Hab ich nich.«
    »Wo ist Leon?«
    Er ließ sie los. Sie konnte sich nicht schnell genug abstützen und geriet ins Straucheln. Maik fing sie wieder ein.
    »Leon kommt gleich.«
    »Wie gleich? Wo ist er? Hast du ihn getroffen?«
    Er wich ihrem Blick aus. Versuchte, sie aus dem Stollen Richtung Eingangshalle zu schleifen. Nico wehrte sich verzweifelt.
    »Lass mich los! Wo ist er?«
    »Draußen.«
    »Du weißt, wo er ist! Was hast du mit ihm gemacht?«
    Ihre Stimme war wieder da. Hell, gellend, glasklar vor Angst. »Was hast du ihm angetan? Was ist mit ihm passiert?«
    Er schleifte sie weiter, achtete gar nicht auf sie. Ein dumpfer Muskelberg, der nur seinen eigenen Befehlen folgte. Nico hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren. Für einen verzweifelten Moment sehnte sie Fili herbei, Fili, die sie mitgenommen hätte an einen Ort ohne Angst und Gewalt. Sie fühlte sich so ausgeliefert wie noch nie in ihrem Leben.
    »Maik …« Sie begann zu schluchzen. »Maik, lass mich los. Bitte! Ich hab dir doch nichts getan!«
    »Kann nicht.«
    »Aber warum denn nicht? Lass mich einfach liegen und geh, keiner wird erfahren, was hier passiert ist. Keiner!«
    »Kann nicht. Darf nicht.«
    »Dann sag mir …« Wieder versuchte sie, sich loszureißen, und wieder musste sie, rasend vor Wut und Verzweiflung, einsehen, dass er stärker war. »… sag mir, wo Leon ist!«
    »Hier!«
    Nico glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. Während sie von Maik in die Eingangshöhle geschleift wurde, polterten von dort, wo der Eingang zum Stollen war, schwere Schritte hinunter, begleitet vom Rutschen und Kollern kleiner Steine.
    »Nico! Hast du sie?«
    »Ja«, brüllte Maik, dass die Wände zitterten. »Hab sie!«
    Jemand rannte auf sie zu und riss sie in die Arme. Bedeckte ihr Gesicht mit Küssen, hielt sie fest, zärtlich und stark zugleich, und flüsterte lauter merkwürdige Dinge in ihre Ohren, so in etwa wie »Dass du lebst! Nico! Mein Gott, ich bin so glücklich!«, und Nico

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