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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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alles in Grund und Boden traten, an das man einmal geglaubt hatte. Nico nahm ihm vorsichtig, beinahe zärtlich die Lampe aus der Hand. Es war so klar. So einfach. Sie wusste jetzt, warum Fili geschwiegen hatte. Warum Kiana verflucht worden war. Warum Maik zu einem Irren abgestempelt worden war. Warum alles, aber auch alles darangesetzt worden war, diese Untat verheimlichen. Warum sie, Nico, von einem Menschen so gehasst wurde, dass er bereit gewesen war, sie umzubringen.
    Vier Buchstaben. Nico leuchtete sie noch einmal an. Filis Vermächtnis, zwölf Jahre in einem Berg begraben. Sie hatten es gefunden. Und die Welt würde nie mehr so sein, wie sie gewesen war.
    Hinter ihr begann Maik zu schluchzen.

Neunundvierzig
    Pfarrer Gero nahm die Kerze und ging zum Ausgang der Kirche. Dabei musste er die kleine Flamme mit vorgehaltener Hand vor der Zugluft schützen. Vergebens. Ein kräftiger Windhauch blies sie auf. Jemand hatte die Tür geöffnet.
    Es war dunkel, und durch das wenige Licht, das von draußen hineindrang, erkannte er eine Gestalt, die durch den Spalt schlüpfte.
    »Ja bitte?«
    Er hatte nicht damit gerechnet, bei seiner Zwiesprache mit dem Herrn gestört zu werden.
    »Ich muss Sie sprechen.«
    Heiser, flüsternd, in tiefster Verzweiflung. Er erkannte die Stimme und fragte sich, was diese arme Seele um die Uhrzeit aus dem Haus getrieben haben mochte. Es war gleich vier Uhr morgens. Er hatte kein Auge zugetan in dieser Nacht, und er war sich sicher, dass er nicht der einzige Schlaflose war. Trotzdem, eine Beichte um diese Uhrzeit … Und so viele Stunden waren seit der letzten ja nicht vergangen.
    »Was kann ich für dich tun, meine Tochter?«
    Kratzend und schlurfend kamen die Schritte näher. Gero suchte in seinen Taschen nach dem Feuerzeug, um die Kerze wieder anzuzünden.
    »Ich habe bereut. Aber reicht das? Reicht das denn wirklich?«
    »Du musst es von ganzem Herzen tun.«
    »Das mach ich doch!«
    Er hörte, wie die Frau sich auf eine der Kirchenbänke setzte. Endlich hatte er das Feuerzeug gefunden und zündete die Kerze an. Die kleine Flamme tänzelte, und er hatte Mühe, sie am Leben zu erhalten, bis er sich neben die Frau gesetzt hatte.
    »Jeden Tag tue ich das«, sagte sie schluchzend. »Aber es wird nicht besser. Und das wissen Sie. Sie sind doch der Einzige, der es weiß. Was soll ich tun?«
    Gero schwieg. Er sah das dunkle Holz der Lehne vor ihm, abgerieben und glänzend von so vielen Sündern, die mit schwerer Hand darüber gestrichen hatten.
    »Und … wenn ich die Wahrheit sage?«
    Gero zuckte zusammen. Das heiße Wachs tropfte auf seine Hand. Aber der kurze Schmerz war nichts im Vergleich zu dem, was ihre Frage in ihm auslöste.
    » Qui bono ?«, fragte er. Cicero hatte einst die Frage gestellt. Wem ein Verbrechen zum Vorteil gereicht, der hat es begangen. Längst verwandte man dieses geflügelte Wort auch in anderen Zusammenhängen. Zum Beispiel, wenn man die berechtigte Frage stellte, wer nach so langer Zeit überhaupt noch von der Wahrheit profitieren – oder von ihr in den Abgrund gerissen würde. »Du machst deine Tochter damit nicht wieder lebendig.«
    Er hörte ihr Aufschluchzen, und er fragte sich, wie lange er das noch ertragen konnte. Ihr rücksichtsloses Selbstmitleid, das nie Raum gelassen hatte für andere. Das einzige Mitgefühl, das Trixi empfinden konnte, war das für sich selbst. Es waren keine gottgefälligen Gefühle. Er schämte sich vor dem Herrn und war froh, dass der Schein der zuckenden Flamme der Kerze sein Gesicht nicht erreichte. Er wollte nicht, dass sie ihm ansah, was er dachte. Oder was er vorhatte zu tun, wenn die Dinge aus dem Ruder liefen. Er konnte ihren sauren Atem riechen. Sie hatte wieder getrunken.
    »Natürlich wird sie nicht lebendig. Aber seit sie tot ist, ist sie mehr da als vorher.«
    Sie sah hoch in Richtung Apsis, wo sie irgendwo in der Dunkelheit die heilige Barbara vermutete. »Am Schlimmsten ist es, sie jedes Jahr wiederzusehen. Ich ertrage das nicht. Fili in Wachs. Was hat er sich nur dabei gedacht?«
    Prozessionsfiguren waren teuer. Die Gemeinde hatte nicht lange gefackelt, als Zacharias das Angebot gemacht hatte, die Kosten für die Heiligengestalt zu übernehmen. Sie alle waren schockiert gewesen, als sie sie schließlich zum ersten Mal gesehen hatten. Mittlerweile hatten sie sich an den Anblick gewöhnt. Noch ein paar Jahre, noch ein, zwei Generationen, und keiner würde sich mehr erinnern, wer das kleine, bleiche Mädchen gewesen war.
    »Es

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