Schattengrund
den Rand der Mulde. Nach wenigen Minuten verloschen auch die Anzünder, und Nico begann zum ersten Mal, sich ernsthaft mit dem Gedanken zu beschäftigen, in einer Eishöhle zu übernachten.
»Komm, Minx. Das hat keinen Zweck.«
Die Katze sprang vom Tisch und lief in den Flur. Nico folgte ihr. Geradeaus ging es ins Wohnzimmer. Hier war es genauso kalt wie in der Küche, doch der Raum wirkte wohnlicher. Das lag an den beiden riesigen Sesseln, der Couch, die irgendwie in sich zusammengesunken war, einer altmodischen Stehlampe und – dem Kachelofen. Nico erinnerte sich an bullernde Wärme und rotdunkle Glut, an stiebende Funken und das Nachkollern der Briketts in seinem Inneren. Sie ging in die Knie und öffnete die Luke. Der Ofen war sauber und ausgekehrt. Neben ihm stand ein Weidenkorb, und in ihm fand sie alles, was für ein anständiges Feuer benötigt wurde. Reisig, dünnes, trockenes Holz, Briketts. Sie schichtete alles übereinander, zündete die dünnen Äste an und lauschte.
Das Feuer loderte. Der Rauch zog ab. Ungläubig starrte Nico in die Feueröffnung. Es funktionierte! Ein Blick in den Korb dämpfte ihre Freude aber ein wenig. Lange würden die Briketts nicht halten. Sie wusste nicht, wo der Nachschub gebunkert war.
»Ich schätze, wir sollten noch ein bisschen Holz holen.«
Minx stieß einen Laut aus, der nach Hunger klang.
»Und dann machen wir was zu essen. Okay?«
Die Katze sprang auf die Kaminbank und begann, ihren Nacken an den dunkelgrünen Kacheln zu reiben. Nico, die nicht mehr genau wusste, ob es nun draußen oder drinnen kälter war, beschloss, die Sache nicht aufzuschieben. Sobald es warm im Haus war, würden sie keine zehn Pferde mehr ins Freie bringen.
Hatte sie vergessen, den Hintereingang zu verschließen? Die Tür stand einen Spalt offen. Sie trat hinaus und wollte gerade um die Ecke biegen, als ihr etwas Merkwürdiges auffiel.
Der Schnee war unberührt gewesen, als sie angekommen war. Sie erinnerte sich an das Gefühl, die Erste gewesen zu sein, die diese weiße Decke mit ihren Spuren verzierte. Vom Wald her kamen Minx’ kleine Pfotenabdrücke dazu. Doch dann musste noch jemand gekommen sein. Jemand, der schwere, klobige Stiefel trug, um das Haus gelaufen war und sich hier, am Hintereingang, zu schaffen gemacht hatte. Der Schnee war niedergetrampelt, ein paar Schritte führten zum Küchenfenster und wieder zurück. Nico spürte, wie unangenehm ihr die Vorstellung war, dass jemand sie beobachtet haben könnte.
Reglos stand sie da und lauschte. Sie konnte das Rauschen des Windes in den Wipfeln der Bäume hören. Nach ein paar leisen Atemzügen glaubte sie sogar, das Knistern der Schneeflocken zu vernehmen, die immer weiter vom Himmel rieselten und die harten Kanten der Spuren bereits auflösten.
Nico folgte den Stiefelabdrücken, die vom Hintereingang wegführten. Der Mann hatte sich eng an der Hauswand entlangbewegt. Mit angehaltenem Atem bog Nico um die Ecke – nichts. Er war fort. Nur seine Fußstapfen waren noch da. Sie lief weiter, bis sie die Vorderseite erreichte und sah, was passiert war.
Der Unbekannte hatte ihre Reisetasche durchwühlt und den gesamten Inhalt vor der Haustür und den Treppen verteilt. Fassungslos betrachtete Nico die Verwüstung. Dann begann sie in fliegender Hast, alles zurück in die zerschlissene Tasche zu stopfen. Inzwischen war von ihrer Habe wirklich nicht mehr viel Brauchbares übrig. Während sie zusammenräumte, sah sie immer wieder hinunter zur Gartenpforte und Siebenlehen. Wer hatte das getan? Vielleicht kauerte er noch irgendwo im Gebüsch und beobachtete sie?
Als sie alles verstaut hatte, stand sie auf und wartete. Nichts rührte sich. Das Dorf lag vor ihr wie in einer riesigen märchenhaften Schneekugel. Aus vielen Schornsteinen stieg Rauch in den Nachthimmel. Manche Fenster waren noch erleuchtet. Ihr Schein hatte etwas Tröstliches für Nico. Sie stellte sich vor, wie es wäre, jemanden da unten zu kennen.
Leon, fiel ihr ein. Könnte Leon das getan haben? Sie schüttelte den Kopf, griff sich auch noch den kaputten Besen und stapfte wieder zurück. Gerade wollte sie noch ein paar Holzscheite von dem Stapel ziehen, als sie die Bewegung bemerkte. Sie fuhr herum.
Der Baum mit dem Efeu regte sich. Wie ein Schatten lauerte eine Gestalt hinter dem Stamm. Er musste dort auf sie gewartet und sich schnell versteckt haben, als sie zum ersten Mal hingesehen hatte. Langsam schob Nico den Holzscheit wieder zurück. Der Schatten löste sich von
Weitere Kostenlose Bücher