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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Aufprall …
    Nico saß aufrecht im Bett. Eiskalte Luft strömte durch den Raum, als ob sie in den Wipfeln der Bäume gelandet wäre. Wo war sie? Dumpf schlug Holz auf Holz. Sie sah eine Gestalt am Fenster, einen Geist aus weißem Gespinst – eine Winterhexe? Der Schreck bohrte sich mit tausend glühenden Nadeln aus Eis direkt in ihr Herz. Wieder klopfte es, lauter, wie eine Mahnung, endlich aufzustehen und nachzusehen, wer sich dort verfangen hatte.
    Sie tastete nach der Lampe. Als das Licht den kleinen Raum erhellte, atmete sie auf. Schnee fiel durch das Fenster auf den Fußboden und schmolz sofort. Die Fensterflügel waren sperrangelweit geöffnet und schlugen gegen die Wand. Der Vorhang bauschte sich, fiel wieder in sich zusammen und hatte ihrem schlaftrunkenen Hirn einen Besuch aus der Zwischenwelt vorgegaukelt. Das Brausen des Windes hoch in den Bergen klang wie eine ferne Meeresbrandung.
    Sie schloss das Fenster. Hinter der Scheibe blieb sie stehen und sah hinaus in die Dunkelheit. Sie wusste nicht, wie viel Uhr es war, aber die Straßenlaternen waren erloschen, und weit oben am Himmel verlor die Wolkendecke ihren dunklen Glanz. Morgengrauen. Was für ein furchtbares Wort.
    Zähneklappernd kroch sie wieder unter die Decke.

Acht
    Nico wachte auf, weil ein schrappendes Geräusch sie aus ihren Träumen holte, das sie von irgendwoher kannte. Sie tastete nach ihrer Armbanduhr, die sie auf dem Nachttisch abgelegt hatte. Gleich acht. Sie hatte geschlafen wie ein Stein. Entschlossen schlug sie die Decke zurück. Es war eiskalt im Raum, offenbar war das Feuer in der Nacht ausgegangen. Aber die Wasserleitungen waren aufgetaut. Sie gönnte sich eine Katzenwäsche in dem winzig kleinen Badezimmer, schlüpfte in Jeans und Sweatshirt und lief hinunter ins Erdgeschoss.
    Noch bevor sie den Kachelofen wieder anwarf, öffnete sie die Fensterläden.
    Vor ihr lag das Dorf. Die Häuser trugen weiße Mützen aus Schnee, die Wälder waren tief verschneit, und eine frühe Morgensonne schien so strahlend herab, dass sie in den Augen schmerzte. Das Geräusch kam vom Schneeschippen. Ein paar Tapfere hatten sich gut eingepackt und befreiten nun die Gehwege vor ihren Häusern. Ob ihr das auch blühte?
    Die Fußspuren, die sie gestern noch beunruhigt hatten, waren verschwunden, vom Wind verweht, vom Schnee geglättet. Offenbar hatte niemand mehr versucht, sich dem Haus zu nähern. Gut so. Sie würde aufpassen müssen. Irgendjemandem schien es nicht zu gefallen, dass sie in Siebenlehen war.
    Aber dann soll er sich zeigen und nicht den Yeti spielen, dachte sie wütend. Nico schloss das Fenster und widmete sich der Herausforderung, den Aschekasten aus dem Ofen zu entfernen, ohne den Dreck gleich in der ganzen Wohnung zu verteilen. Sie legte einen neuen Brand an und freute sich wie ein Kind, als die Flammen das Holz entzündeten und wenig später die Briketts zum Glühen brachten. Dabei überschlug sie, was sie wohl brauchen würde, um ein Wochenende durchzuhalten.
    Milch. Kaffee. Katzenfutter, sofern Minx noch einmal auftauchte. Brot. Marmelade. Vielleicht gab es ja ein Restaurant oder ein Gasthaus, wo sie eine warme Mahlzeit bekommen würde. Sie hatte ihre gesamte Barschaft mitgenommen. Es war nicht viel, aber für ein paar Tage würde es reichen. Ein Blick auf den Küchenherd hatte genügt, um davon Abstand zu nehmen, ihn jemals ohne Einweisung zu benutzen. Sie stöberte in den Schränken und der Speisekammer und brachte schließlich einige überlebensnotwendige Dinge zum Vorschein: einen Wasserkocher. Tee. Salz. Zucker. Reis und Mehl. Öl. Luxus in biblischem Ausmaß.
    Nico zog ihre Winterjacke an und schlüpfte in die Stiefel. Als sie das Haus durch den Vordereingang verließ, warf sie noch einen Blick um die Ecke. Ihre Bärchenschuhe waren nirgendwo zu entdecken. Wer weiß, wo sie sie verloren hatte. Wahrscheinlich hatte der Neuschnee sie unter sich begraben. Die Sonne bringt es an den Tag, dachte sie. Der deutsche Balladenschatz und seine gruseligen Moritaten lassen grüßen.
    Sie schüttelte den Kopf über die merkwürdigen Gedanken, die sie hier hatte. Das musste an diesem Haus liegen und den bruchstückhaften Erinnerungen an Ferienerlebnisse und Märchen. Dinge, die sie nicht bewusst verdrängt, sondern einfach nur vergessen hatte. Der Traum dieser Nacht musste auch damit zusammenhängen. Nur ein paar kurze Fetzen davon waren in ihrem Gedächtnis haften geblieben. Winterhexen . Ein Wort, ebenso fremd wie vertraut. Ob das Gestalten

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