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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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hätten, würden sie wahrscheinlich zu dem Stern fliegen. Doch als sie das letzte Stöckchen gelegt hatte und das Orakel fertig war, hatte sie gesagt: Ihr bleibt auf der Erde. Und sie hatte behauptet, sie wäre froh darüber. Aber das war gelogen, denn dann fing sie an zu weinen. Das war das erste Mal, dass Merle ihre Mami weinen sah. Und das letzte Mal. Denn jetzt konnte sie nicht mehr weinen. Außer sie weinte im Himmel.
    ***
    So kurz nach dem urlaubsbedingten Hotelleben und nach einem harten Arbeitstag freute Winter sich auf seine warme, verwinkelte, gemütliche Altbauwohnung in der Glauburgstraße im Nordend und auf seine Familie. Die Kinder hatten sie während des Urlaubs ausnahmsweise zu Hause gelassen. Sara war sechzehn und Felix vierzehn, alt genug also. Winters Beziehung zu seiner Frau Carola hatten die zwei Wochen erzwungene Zweisamkeit auf Fuerteventura gutgetan. Carola war zwar etwas launisch gewesen. Aber immerhin hatte es Tage gegeben, die sie mit Strandspaziergängen, Schwimmen und leckerem Essen gemeinsam genießen konnten. Das war ein großer Fortschritt gegenüber den Monaten zuvor, als Winter von einer ewig gereizten oder beleidigten Carola nie etwas anderes als Kritik und an den Haaren herbeigezogene Vorwürfe zu hören bekam, hauptsächlich wegen seines angeblichen Erziehungsversagens bei Tochter Sara. Ein normales Gespräch schien unmöglich. Der auf die Schnelle gebuchte Urlaub war sein Versuch, die Dinge zwischen ihnen wieder ins Lot zu bringen, nachdem er nach Monaten des Erduldens kurz vor Weihnachten die Beherrschung verloren und Tacheles mit Carola geredet hatte. Nämlich dass sie ihre Ehe gefährde, wenn sie sich weiter so benehme.
    Was er Carola dabei wohlweislich verschwieg, war, wie ihm auf der Weihnachtsfeier im Präsidium betreffs Kollegin Hilal Aksoy die Hormone derart durchgegangen waren, dass er kaum noch geradeaus schauen konnte. Ausgerechnet Aksoy, die überhaupt nicht sein Typ war und schwierig noch dazu. Wäre zu Hause mit Carola alles in Ordnung, wäre das garantiert nicht passiert, vermutete Winter. Jedenfalls war klar, wenn er das Ruder in seiner Ehe noch herumreißen wollte, dann war Eile geboten. Ansonsten würden sie sich nur weiter entfremden. Carola hatte der Reise freudig zugestimmt – damals die erste positive Äußerung seit Monaten. Nun waren die Verhältnisse zum Glück etwas stabilisiert.
    «Hallo», rief Winter fröhlich, als er in den Flur trat. Von Sohn Felix kam ein entferntes Hallo zurück. Seine Frau fand Winter im Wohnzimmer. «Soll ich dir mal was zeigen?», begrüßte sie ihn in ominösem Ton.
    «Na, dann zeig mal», sagte er resigniert. Carola führte ihn ins Bad, griff ein Bettlaken aus dem Wäschekorb, dessen schwarze Farbe Sara als Besitzerin auswies, und entfaltete es. In der Mitte prangten die weißlichen Ränder eines klassischen Spermaflecks.
    «Aha», sagte Winter trocken.
    «Du hast es gesehen?»
    «Ja.»
    Carola warf das Laken in den Wäschekorb. «Wie konntest du nur so verantwortungslos sein, deine Tochter zwei Wochen allein zu lassen? Du wusstest doch genau, dass sie ohne uns die ganze Zeit rumhurt!»
    «Also Carola, bitte. Für die Reise haben wir uns gemeinsam entschieden.»
    «Nein, das haben wir nicht. Es war deine Idee; du hast mir quasi die Pistole auf die Brust gesetzt.»
    Winter versuchte, ruhig zu bleiben und das Gespräch auf eine konstruktivere Schiene zu bringen. «Wo ist denn Sara? Ich werde mit ihr mal über Verhütung reden.»
    «Ach, tatsächlich? Damit kommst du etwas spät. Im Übrigen ist sie natürlich nicht da, sondern treibt sich wieder irgendwo rum.»
    Wo wir sie auch nicht unter Kontrolle haben, dachte Winter, aber sagte es nicht.
    «Wenn du es wieder nicht schaffst», erklärte Carola düster, «bei deiner Tochter mal richtig auf den Putz zu hauen, dann reicht es mir. Dann muss ich die Notbremse ziehen und zu härteren Maßnahmen greifen.» Damit ließ sie ihn allein zurück.
    Winter setzte sich auf den Badewannenrand und stöhnte.
    Kaum zu Hause, ging alles wieder von vorne los.
    ***
    Der Fall Vogel wurde im Laufe der nächsten Tage nur noch rätselhafter. Der Tiefkühl-Lieferant, als Verdächtiger eilig vorgeladen, war ein hübscher junger Mann mit offenem, freundlichem Gesicht, der intime Beziehungen zu Sabrina Vogel entrüstet verneinte. «Also, die war nun echt nicht mein Typ.» Zwar wirkte er sehr nervös, aber das konnte an der Vernehmungssituation liegen, die viele verunsicherte. Die Indizien stützten

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