Schattenhaus
oder womöglich erzählt er, die Diamanten seien gar nicht mehr da. Jedenfalls gerät der Täter in Panik oder Wut und schießt unkontrolliert auf Vogel los.»
«Wie gesagt, mir kommen diese Bauchschüsse auch sehr impulsiv vor», bestätigte Winter. «Dein Szenario gefällt mir. Jedenfalls macht das alles hinten und vorne nicht den Eindruck, als hätte es sich um einen Profi gehandelt.»
Genau in diesem Moment betrat Sven Kettler den Raum. «Hallo, hallo, hallo», rief er. «Da seid ihr ja alle! Fall gelöst. Die Omma aus Kelkheim hat einen Profi-Killer geheuert. Hier ist der Beweis.»
Es wurde schlagartig still. Die Blicke waren betreten. Kettler merkte davon nichts.
Triumphierend legte er einen Kontoauszug auf den Tisch. Das Papier ging von Hand zu Hand. Daraus ging hervor, dass Frau Renate Vogel aus Kelkheim eine Woche vor dem Tod des Ehepaars Vogel eine Summe von 5000 Euro von ihrem Sparkonto abgehoben hatte. In bar.
«Und es kommt noch besser», sagte Kettler. «Ich hab auch die Unterlagen vom Finanzamt. Die Dame hat in ihrer Zweieinhalbzimmerwohnung ein Zimmer vermietet. Der Mieter heißt Wladimir Preiß, fünfundzwanzig Jahre alt. Der Preiß ist vorbestraft wegen Körperverletzung, Motorraddiebstahl und illegalem Waffenbesitz.»
«Alle Achtung, jungä Mann», sagte Glocke, lehnte sich zurück und applaudierte.
***
Der Knall ließ Gunhild Pfister zusammenzucken, als hätte sie einen Stromschlag bekommen. Es war aber gewiss nur die Wohnzimmertür. Zugluft, weil sie den Flur lüftete. Oder war etwa jemand von der Straße hereingekommen? Gunhild stand ganz still und horchte. Aber da war kein Geräusch. Sie spürte, wie ihr ein Schauer über den Rücken und die Arme kroch. Eine unbestimmte Angst trieb sie, den Schlüssel in der Küchentür umzudrehen.
Vielleicht war es das schlechte Gewissen, das sie so schreckhaft machte. Heute war der Tag, an dem Sabrina eingeäschert wurde. Und heute schmerzte sie, was sie getan hatte: sich für eine unzeremonielle Einäscherung ihrer Tochter in Frankfurt zu entscheiden, telefonisch arrangiert. Sie fuhren nicht einmal hin. Doch es ging ja gar nicht. Sie konnte ihren Mann Reinhard, der im Rollstuhl saß, weder allein lassen noch nach Frankfurt mitnehmen.
Gunhild hatte eine große Dorfbeerdigung und das ganze Gesumse drum herum vermeiden wollen. Sie hatte nicht gewusst, wie sie das durchstehen sollte. Den Sarg, den Leichenschmaus, die Leute, das Gerede und Getuschel, dazu noch Reinhard und die furchtbare Ahnung, die sie umtrieb. Und dann die Kinder. Sie wollte vor allem ihre beiden Enkelchen nicht sehen müssen. Was sollte sie ihnen sagen? Im Moment war alles noch zu nahe.
Mühsam raffte Gunhild sich auf, füllte das pürierte Essen in eine Plastikschüssel. Als sie die Küchentür wieder öffnete, hörte sie aus dem Wohnzimmer schon klagende Laute. Oder anklagende, wie man’s nahm. In der tiefsten Tiefe ihres Herzens wünschte sich Gunhild, dass ihr Mann sterben möge. Stattdessen war jetzt Sabrina tot.
Sie trug die Schüssel durch den eiskalten, trotz Lüften muffigen Flur, öffnete die Wohnzimmertür, was sofort wieder einen Zug auslöste. Gleich hinter der Tür befand sich der Kachelofen und strahlte Gluthitze ab. Das Haus war vierhundert Jahre alt und nur teilweise renoviert. An der Wand frontal gegenüber sahen drei ausgestopfte Hirschköpfe Gunhild mit gefühllosen dunklen Glasaugen unter mächtigen Geweihen an. Die beiden Jagdgewehre, die gekreuzt unter den Hirschen hingen, waren die Lieblingsflinten von Reinhards Vater. Jene, denen er Frauennamen gegeben hatte.
Reinhard selbst saß schief in seinem Rollstuhl. Der Mund stand offen, Speichel troff aufs Lätzchen. Gunhilds Mann war fünfundachtzig und damit fünfzehn Jahre älter als sie selbst. Doch in diesem beklagenswerten Zustand befand er sich erst seit wenigen Wochen. Ein nächtlicher Schlaganfall.
Während Gunhild ihren Mann fütterte, fiel ihr Blick auf das Hundekörbchen in der Ecke. Darin lag, lebensecht präpariert, Schnüffel, Reinhards Lieblingsdackel. Von seiner eigenen Hand erschossen.
Gunhild musste mit einem Mal an Sabrina denken, und wie sie ausgestopft hier im Zimmer säße. Ihr wurde kurzzeitig so übel davon, dass sie kaum weiterfüttern konnte. Vielleicht war es doch gut, dass Sabrina nun Asche war.
***
Winter saß gemeinsam mit dem Staatsanwalt bei Fock. Er hatte seinen Plan für weitere Ermittlungen vorgelegt. Fock schien wenig begeistert. «Ach, Winter, zwei Drittel davon können
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