Schattenhaus
seine Aussage. Im Wochenrhythmus fuhr er jeweils dieselbe Tour. Das Ehepaar, das er vor Sabrina Vogel belieferte, konnte bestätigen, dass er stets zur geplanten Uhrzeit bei ihnen eingetroffen war. Ebenso verhielt es sich bei dem Kunden danach. Für ein Schäferstündchen bei Vogels blieben nicht mehr als fünf Minuten, selbst für einen Quickie knapp. Für Winters Liebhabertheorie konnte der Mann nicht herhalten.
Dafür stellte sich heraus, dass auf die blaue Tür im Schuppen tatsächlich mit einem . 44 -Magnum-Kaliber geschossen worden war – demselben, mit dem Sabrina Vogel und ihr Mann getötet worden waren. Eine Patrone steckte sogar noch. Auf die Tür waren sechs Schuss abgegeben worden. Auch in der Mordnacht waren sechs Patronen verfeuert worden.
«Können wir also davon ausgehen, dass die Waffe sechsschüssig ist?», fragte Winter. Er saß mit dem Ballistik-Experten bei den Mordkommissions-Routiniers Arno Ziering und Heinz Glocke im Büro, um kurz die neue Lage durchzusprechen.
«Das weißt du wahrscheinlich so gut wie ich», meinte der Ballistiker. «Die meisten Magnum-Revolver sind sechsschüssig. Aber es gibt auch welche mit Achter-Magazinen. Dann gibt es noch Magnum-Pistolen mit großem Magazin. Sind aber extrem selten, die Dinger.»
«Okay», grübelte Winter. «Gehen wir mal davon aus, dass der Täter einen klassischen Magnum-Revolver mit Spannabzug benutzt und jeweils sein ganzes Magazin verschossen hat. Das wirkt auf mich sehr impulsiv. Vor allem bei der Tür. Die hätte er mit anderen Mitteln ohnehin besser aufbekommen. Da war ja nicht mal ein Sicherheitsschloss. Er entschließt sich aber, die Tür aufzuschießen. Und statt nach ein, zwei Schuss zu schauen, ob er das Schloss schon geknackt hat, feuert er, bis die Trommel leer ist. Nun hat er die Tür auf. Was macht er jetzt? Nachladen?»
«Nö», antwortete Ziering, den Winter direkt angesprochen hatte. «Er hat nicht nachgeladen. Soweit wir wissen, wurde bei dem Anlass jedenfalls auf niemanden geschossen.
«Stopp», sagte Winter und machte sich eine Notiz: Sie mussten bei den umliegenden Krankenhäusern nachfragen, ob jemand aus der Familie Vogel dort in den letzten Jahren mit irgendwelchen Verletzungen verarztet worden war.
«Okay, weiter», sagte er. «Entweder der Täter hat ohne Sinn und Verstand sein Magazin an der Tür verschossen und erst danach gemerkt, dass er nun seinen Tötungsvorsatz nicht mehr ausführen kann. Dann ist er geradewegs geflohen.»
«Wäre ein richtig blöder Täter», schnaubte Glocke.
«Eben. Deshalb müssen wir eher die andere Möglichkeit in Betracht ziehen: Der Täter wusste, er würde nach dem Öffnen der Tür die Waffe gar nicht mehr brauchen. Er wollte nicht in dieses Gästezimmer, um jemanden zu töten. Was für ein Motiv fällt euch dabei ein?»
«Na ja, Diebstahl», sagte Ziering sofort. «Die Person wusste, dass sich in dem Raum was Wertvolles befand. Die Familie Vogel war nicht da, zum Beispiel im Urlaub bei den Großeltern in Allmenrod. Da waren die doch jeden Sommer.» Die Familie Vogel verbrachte den Juli traditionell auf dem Land bei Sabrinas alten Eltern, die eine Einliegerwohnung in ihrem Haus hatten. Kollege Glocke hatte das in Erfahrung gebracht, als er das Ehepaar Pfister nach dem Mord in ihrem Dorf bei Lauterbach aufgesucht und vernommen hatte.
«Plausibel», nickte Winter. Jeder Bekannte und manche Kunden von Thomas Vogel und auch die Nachbarn mussten gewusst haben, dass die Vogels im Juli immer wochenlang weg waren. Eine günstige Zeit für einen Einbruch.
«Braucht ihr mich noch?», fragte der Ballistiker mit einem Blick auf die Uhr.
«Ist okay», sagte Winter, «kannst gehen, bloß noch schnell eine Frage: Was denkst du, wie alt diese Schussspuren an der Tür sind?»
«Schwer zu sagen. Das müsste sich jemand ansehen, der sich mit Holz auskennt. Ich kann bloß sagen, es ist nicht taufrisch, nicht von gestern oder so.»
Das wäre auch verwunderlich gewesen, da Sabrina und Thomas Vogel seit gut zwei Wochen tot waren. «Okay, dank dir.» Winter notierte, dass er beim LKA und den hiesigen Unis nach jemandem fragen musste, der sich eine Altersbestimmung von Holzoberflächen zutraute.
«Zurück zu unserem Täter», nahm Winter den Faden wieder auf. «Hypothese Diebstahl. Also, wir gehen davon aus, der Täter ist bekannt oder verwandt mit den Vogels. Irgendein Familienmitglied hat ihm mal erzählt, dass im Gästezimmer etwas Wertvolles versteckt ist. Moment, da fällt mir was ein, ich
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