Schattenhaus
ein kleines blondes Mädchen vor mir, hielt eine Pistole mit beiden Händen hoch und hat auf mich geschossen. Die Tochter von der Putzfrau. Ich weiß, es kann nicht sein.»
«Herr Bründl», seufzte Winter, «Sie haben ja keine Ahnung, was alles sein kann.»
Winter wollte es am liebsten selbst nicht glauben. Irgendwie hatte er gehofft, dass die Ahnung der letzten Tage sie wenigstens im Fall Tamm getäuscht hatte.
Kaum war das Gespräch beendet, kam Hilal Aksoy wieder ins Büro, das sie kurz nach Zierings Eintritt verlassen hatte. Winter sagte erst einmal nichts von Bründls Anruf und ließ sie reden.
«Andi? Du ahnst es nicht. Ich hatte ja Konteneinsicht beantragt bei Carsten Tamm. Einiges war ein bisschen seltsam. Außerdem konnte man sehen, dass er noch weitere Konten bei nichtdeutschen Direktbanken hat – und von denen habe ich die Unterlagen jetzt reinbekommen. Der Mann steckt bis zum Hals in Schulden. Hat sich über Jahre mit Pokerspielen im Internet ruiniert. Die letzten zwei Monate hat er die Kredite nicht mehr zurückzahlen können. Und neues Geld hat er nicht gekriegt.»
***
Winter hatte noch keine Zeit gehabt, über die neuen Informationen nachzudenken, da bekam er die Nachricht, Sarnau sei da.
Selten waren Winter die neumodischen Lehrbuchregeln zur Vernehmungstaktik gleichgültiger gewesen. Verständnis für Sarnau zu heucheln – das bekam er einfach nicht hin. Er umtigerte den Verdächtigen drohend, erzählte Merles Geschichte unter der Überschrift «Wissen Sie, was Sie angerichtet haben», und dann hielt er ihm als Schocktaktik urplötzlich Nahaufnahmen der ermordeten Sabrina Vogel unter die Nase.
Sarnau sah ruckartig weg. Endlich hatte er ihn erreicht.
«Mann, kapieren Sie doch», äußerte sich der eitle Junganwalt schließlich. «Das war ein Scherz. Ich konnte doch nicht riechen, dass die blöde Kuh so was tatsächlich macht! Das ist doch völlig gaga …»
Winter triumphierte innerlich, aber ließ sich nichts anmerken. «Ein Scherz?», fragte er. «Schließt man Versicherungen aus Scherz ab?»
Sarnau versuchte sich wieder zu fangen, aber verstrickte sich nur noch tiefer. «Ach Gott, das Pf…, äh, die Sabrina wär ja sowieso gestorben, mit ihrem Hirntumor. Da kann man doch mal versuchen, ob man da bei der Versicherung nicht noch was rausschlagen kann. Ich hätte das Geld an ihre Kinder weitergegeben.»
Nicht zu fassen!
«Mensch Sarnau», entgegnete Winter und schüttelte den Kopf. «Sie lügen wie gedruckt – Sie haben doch von dem Tumor überhaupt nichts gewusst! Das haben Sie hier höchstpersönlich ausgesagt! Alles nur ein Scherz, ja? Sie haben gehofft, dass eine gesunde Frau Ihrem Betrug aufsitzt, sich umbringt und Sie damit reich macht … Meine Güte!»
Sarnau wurde rot.
«Kapieren Sie’s doch endlich!» Sarnaus Stimme überschlug sich fast. «
Die
hat
mich
betrogen, hat mir kein Wort gesagt von dem Scheißtumor, und ich lass mich drauf ein, obwohl es chancenlos ist! Und jetzt hab ich den Ärger.»
Winter wurde übel. Er riss die Tür auf, Musso und ein Uniformierter standen davor.
«Jürgen, Herr von Sarnau hat jetzt zugegeben, Frau Vogel zu Versicherungsbetrug und Selbsttötung überredet zu haben, nimm bitte ein volles Geständnis auf. Ich brauche ein bisschen frische Luft!»
«Wie bitte, was hab ich?», protestierte Sarnau entsetzt.
«Sie können sich gerne das Tonband noch mal anhören», sagte Winter trocken.
Da sprang Sarnau vom Stuhl hoch und krallte sich das Aufnahmegerät. Bevor er es zerbrechen konnte, hatten Winter und Musso ihn fest im Griff.
Winter nahm das Gerät mit raus und ließ den behandschellten Sarnau mit den beiden anderen alleine. Er wollte dieses geleckte, eingebildete Arschloch am liebsten nie wiedersehen.
***
Fock hatte Wochenenddienst angeordnet – für alle Mitarbeiter der SoKo und sich selbst. Das Ziel war, «Ordnung in den Fall» zu bekommen, um dann am Montag eine Pressekonferenz abzuhalten.
Winter fuhr am Samstagmorgen vorher noch zur Höchster Klinik. Er wollte das jetzt schnell hinter sich bringen. Am Telefon hatte er erfahren, dass Merle ansprechbar sei, ein langes Gespräch allerdings sei nicht möglich.
Das Mädchen sah katastrophal aus. Kreidebleich, Ringe unter den Augen, verbunden und verpflastert. Einer von den zahlreichen Schläuchen an ihrem Körper führte zu einem Beutel, aus dem blutrote Flüssigkeit in eine Kanüle in ihrem Arm tropfte.
Obwohl es ihm schwerfiel, kam Winter direkt zur Sache.
«Hallo, Merle. Du
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