Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
Vom Netzwerk:
dieser möge ihn informieren, welche Art von Disziplinarbeschwerde gegen ihn vorliege. Dann setzte er sich an die noch anstehenden Protokolle.
    Die Kollegen ignorierten ebenfalls, dass er suspendiert war. Musso brachte ihm am Mittag eine Tonbandaufnahme des Gesprächs mit Tamm vorbei, mit den Worten: «Dieser Scheißheuchler.»
    Winter hörte sich das Band an: Tamm schwor hoch und heilig, Merle nie zu irgendetwas angestiftet zu haben. («Okay, vielleicht hab ich mal im Suff gesagt, zur Janine kommt ihr erst, wenn die Verena tot ist. Weil die Mädels uns doch immer genervt haben mit ihrem Rumgejammer, sie wollten zu Tante Janine nach Kanada. Aber ich schwöre, das war nicht so gemeint! Und mehr war da nicht …»)
     
    Es war an einem Dienstag, als Verena mit den Kindern bei Grafton war. Tamm vermisste zwei Flaschen Kognak, die wahrscheinlich wieder einmal von Verena versteckt worden waren. Das Wegkippen ließ sie inzwischen, weil es von ihrer Haushaltskasse abging, wenn er die Vorräte nachkaufte; dafür ärgerte sie ihn mit Versteckspielen. Wutentbrannt begann er zu suchen, und zwar als Erstes in den Kinderzimmern. Verena wählte immer Verstecke, von denen sie fälschlicherweise glaubte, dass er nicht draufkäme. Einmal hatte er mit untrüglichem Instinkt eine Flasche in der Waschmaschinentrommel gefunden.
    Tamm wühlte sich durch sämtliche Schubladen in Merles ultraordentlichem Zimmer, kippte schließlich die Schubladen aus und warf alles auf den Boden. Sollte Verena nur Mühe mit dem Aufräumen haben – zur Strafe dafür, dass sie diese albernen Spielchen mit ihm spielte. Eine Schublade in dem Kinderschrank aus dünnster Spanplatte (oder war es Presspappe?) war schwerer als die anderen. Zu Tamms großem Erstaunen fiel mit einem dumpfen Geräusch eine große Handfeuerwaffe auf den Boden, als er die Schublade auskippte, daneben etwas Munition. Das konnte doch nicht wahr sein!
    Tamm sah sich die Waffe an. Sie war sehr schwer, schien echt zu sein, keine Replik. Vage Ahnungen überfielen ihn. Er recherchierte im Internet nach dem Vogel-Doppelmord, rief Bilder von dem Waffentyp auf, der damals verwendet worden war. Kein Zweifel, er hatte die Tatwaffe gefunden.
    Tamm setzte sich mit einem Kognak aufs Sofa, trank nur eben gerade so viel, wie nötig war, um sein Gehirn gut geölt zu halten, und dachte nach. Dann entwickelte er langsam einen Plan.
    Mit der Merle kam er gut aus. Sie war ausgesprochen freundlich, ja geradezu kokett zu ihm und nannte ihn «Carsten», während sie zu seiner Frau «Tante Tamm» sagte. Er nannte sie «meine Süße». Kein Zweifel, er würde das Mädchen beeinflussen können. Nach und nach entwickelte er die Idee zu einem perfekten Mord. Es tat ihm leid um die Verena. Er würde einsam und weniger komfortabel leben ohne sie. Er liebte große, grobknochige, starke Frauen wie sie, liebte Verenas kräftige braune Locken, ihre starke, gerade Nase. So eine würde er sicherlich nicht wieder bekommen. Aber es ging nicht anders. Wenn die Schuldenblase platzte, würde sie ihn sowieso verlassen. Es geschah ihr also nur recht.
    Er würde es genialerweise so drehen, dass es so aussah, als wäre der Professor das Ziel des Anschlags. Verena beschwerte sich immer über die hundert künstlerisch gestalteten Briefbeschwerer, die sie polieren musste, weil der Herr Professor seine Sammlung in Hochglanz und ohne ein Stäubchen haben wollte. Auch kein Fingerabdruck durfte zurückbleiben. «Fast eine Stunde sitz ich da am Schreibtisch», pflegte sie zu erzählen. «Im Winter frier ich, weil direkt hinter mir ein bodentiefes Fenster zur Terrasse ist und es zieht. Und im Sommer schwitz ich, weil die Sonne reinknallt und mir auf den Rücken scheint.» Genau in dieser Position, am Schreibtisch des Professors mit dem Rücken zum Fenster, wäre es am günstigsten, sie zu erschießen.
    Zwei Abende später – Verena sah ihre Lieblingssendung – nahm Tamm seine «Süße» beiseite. «Ich verrat dir ein Geheimnis», sagte er. «Wie ihr zur Tante Janine kommen könnt. Du darfst es aber ganz bestimmt niemandem verraten, versprochen?» Merle kapierte ziemlich schnell, was er von ihr wollte. Sogar den kompliziertesten Teil, die Inszenierung mit dem Hocker.
    Heute erst wurde ihm durch eine Frage des Beamten klar, dass die scheinbar so gehorsame Merle eine seiner Instruktionen nicht befolgt hatte: Sie hatte die Waffe auf dem Rückweg nicht in den Teich am Adenauer-Platz geworfen, sondern vor ihm versteckt, das dumme, kleine Biest.

Weitere Kostenlose Bücher