Schattenherz
dich verbergen.
Möge die Erde dich zu dem ihren machen.«
Gaborn spürte wie die Bindung in Kraft trat.
»Danke, Euer Hoheit«, sagte Molly. In den Augen des Mädchens glitzerten Tränen. Sie machte kehrt und steuerte auf Burg Groverman zu, bereit, die zweihundert Meilen bis nach Hause zu Fuß zu gehen.
Doch als sie dies tat, überkam Gaborn ein übermächtiges Gefühl der Angst, und er spürte die Warnung der Erde, daß sie in Gefahr schwebte. Wenn sie nach Süden zurückkehrte, würde sie sterben. Ob ihr ein Bandit nachstellen, sie auf der Reise erkranken oder sie einem entsetzlichen Schicksal begegnen würde, wußte er nicht. Über die Art der Gefahr konnte Gaborn keine Mutmaßungen anstellen, trotzdem spürte er sie ebenso stark wie an dem Tag, als sein Vater ums Leben gekommen war.
In dieser Richtung erwartet dich der Tod, Molly. Mach kehrt und gehe nach Burg Sylvarresta, dachte Gaborn.
Sie hielt mitten im Schritt inne und blickte ihn aus ihren großen blauen Augen fragend an. Eine halbe Sekunde lang zögerte sie, dann fuhr sie herum und rannte in nördlicher Richtung die Straße nach Burg Sylvarresta hinauf, als wären ihr die Greifer auf den Fersen.
Gaborn, der das sah, stiegen vor Dankbarkeit die Tränen in die Augen.
»Gutes Mädchen«, murmelte er. Er hatte befürchtet, sie würde seine Warnung nicht vernehmen oder nicht gleich befolgen.
Der Days auf seinem weißen Maultier blickte von Gaborn zu dem Mädchen. »Habt Ihr sie gerade zur Umkehr bewegt?«
»Ja.«
»Ihr habt Gefahr im Süden gespürt?«
»Ja«, antwortete Gaborn abermals, der es vorzog, die unbestimmte Angst, die ihn beschlichen hatte, für sich zu behalten. »Jedenfalls für sie.«
Er wandte sich an Binnesman. »Ich weiß nicht, ob ich auf diese Weise fortfahren kann. So hatte ich mir das nicht vorgestellt.«
»Von einem Erdkönig erwartet man nicht, daß er es sich leichtmacht«, erwiderte Binnesman. »Nach der Schlacht bei Caer Fael, heißt es, habe man am Leichnam Erden Geborens keine Wunden entdeckt. Einige waren der Meinung, er sei an gebrochenem Herzen gestorben.«
»Welch ein Trost mir Eure Worte sind«, gab Gaborn voller Bitterkeit zurück. »Ich möchte das Kind retten, nur weiß ich nicht, ob ich durch sein Erwählen Schaden oder Gutes angerichtet habe.«
»Und vielleicht ist alles, was wir tun, für die Katz«, meinte Binnesman, ganz so, als hätte er sich mit der Erkenntnis abgefunden, auch mit größter Anstrengung sei es ihnen nicht möglich, die Menschheit zu retten.
»Nein, ich muß daran glauben, daß es nicht für die Katz ist«, erwiderte Gaborn. »Ich muß davon überzeugt sein, daß sich die Mühe lohnt. Allerdings wüßte ich nur eins zu gerne: Wie kann ich sie alle retten?«
»Die gesamte Menschheit retten?« fragte Binnesman. »Das ist unmöglich.«
»Dann muß ich mir eben überlegen, wie ich die meisten retten kann.« Gaborn blickte sich nach seinem Days um, dem Historiker, der ihm seit seiner Kindheit auf Schritt und Tritt folgte.
Der Mann trug das schlichte braune Gewand des Gelehrten, und sein knochendürres Gesicht mit den unerschrockenen Augen war auf ihn gerichtet. Als Gaborn jedoch den starren Blick erwiderte, wandte sich der Days schuldbewußt ab.
Das Gefühl der Gefahr, das Gaborn spürte, hatte etwas Unbehagliches, und er war überzeugt, der Days könnte ihn, wenn er nur wolle, vor dem Ursprung der Gefahr warnen.
Doch der Days hatte schon vor langer Zeit seinen Namen, seine Identität für die Dienste bei den Zeitlords aufgegeben. Er würde nicht sprechen.
Trotzdem – obwohl die Verehrung für die Zeitlords
angeblich wenig Raum ließ, sich in die Angelegenheiten der Menschen einzumischen, hatte Gaborn von Days erzählen hören, die ihr Gelübde gebrochen hatten.
Er wußte, weit oben im Norden, in einer klösterlichen Siedlung auf den Inseln jenseits von Orwynne, lebte ein zweiter Days, der Gaborns Days eine Gabe der Geisteskraft abgetreten und im Gegenzug eine ebensolche Gabe erhalten hatte. Auf diese Weise teilten sich die beiden Days jetzt ein und denselben Verstand – ein Bravourstück, das außerhalb des Klosters nur selten nachgeahmt wurde, da es in den Wahnsinn führte.
Gaborns Days wurde Zeuge genannt und war von den Zeitlords damit beauftragt worden, Gaborn zu beobachten und auf seine Worte zu lauschen. Sein Gegenpart, der Schreiber, trat als Protokollant auf und verzeichnete Gaborns Taten bis zu dessen Tod, nach dem das Buch seines Lebens veröffentlicht werden
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