Schattenherz
zwanzig Jahren gestorben war, für ihn jedoch war es nur Stunden zuvor geschehen, und das Gefühl der Gedärme des Mannes in seiner Hand war ihm noch frisch im Gedächtnis.
»Ihr hattet sicher einen guten Grund.«
»Ich habe ihn mit meiner Frau im Bett erwischt. Ich habe ihn aufgeschlitzt wie einen Fisch, aber noch währenddessen mußte ich mich fragen, wieso. Unsere Heirat war abgesprochen und sie in jeder Hinsicht eine jämmerliche Partie. Ich mochte sie nicht, und sie hat mich gehaßt. Den Mann zu töten war überflüssig. Vermutlich wollte ich ihr nur weh tun. Ich weiß nicht.
Du hast dich bestimmt jahrelang gefragt, was für ein Mann ich bin, Sera. Glaubst du, jetzt weißt du es?«
Sera Crier fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Jetzt fing sie an zu zittern. »Jeden anderen Mann hätte eine solche Tat den Kopf gekostet. Der König muß Euch sehr gemocht haben.
Vielleicht hat er auch hinter Eurer Grausamkeit ein wenig Güte gesehen.«
»Ich sehe da nur Dummheit und Unsinnigkeit«, antwortete Roland daraufhin.
»Und Schönheit.« Sera beugte sich vor, um Roland auf die Lippen zu küssen. Er wendete den Kopf ein wenig ab.
»Ich habe mich selbst geopfert.«
»Für eine Frau, die nichts mit Euch zu schaffen haben will und vor langer, langer Zeit einen anderen geheiratet hat…«, entgegnete Sera. Roland war sicher, sie wußte, wovon sie redete, als sie von seiner Frau gesprochen hatte. Die Neuigkeiten betrübten ihn. Seine Gemahlin war die Tochter eines anderen Metzgers – und ihr Verstand war schärfer als die Messer ihres Vaters. Sie hatte ihn für dumm gehalten, er sie für grausam.
»Nein«, antwortete er, als er spürte, daß sie die tiefere Wahrheit nicht erkannte. »Ich bin nicht meinem Weib ergeben, sondern meinem König.«
Nun setzte er sich auf seiner Pritsche auf und starrte seine Füße an. Er war nur mit einer Jacke bekleidet – ein edles Stück aus roter Baumwolle, das in der feuchten Luft atmen konnte.
Nicht mit den alten Arbeitskleidern, die er vor einundzwanzig Jahren bei der Abtretung seiner Gabe getragen hatte. Die waren längst verfault.
Sera holte ihm eine Hose und ein Paar schafslederne Stiefel und bot ihm an, ihm beim Anziehen zu helfen, obwohl er keine Hilfe brauchte. Noch nie hatte er sich so vollkommen ausgeruht gefühlt.
Obwohl Roland heute bereits zum zweitenmal in einer Woche mit einem Kuß geweckt worden war, hatte er Seras Lippen erheblich mehr genossen als die von Baron Poll.
Während er aß, betrat ein junger Ritter in einer Gelenkrüstung durch die Vordertür den Raum. »Borenson!«
begrüßte er ihn mit lauter Stimme. Baron Poll war im selben Augenblick die Treppe heruntergekommen und auf dem Absatz stehengeblieben. »Und Baron Poll!« fügte der junge Bursche entsetzt hinzu.
Plötzlich geriet der gesamte Raum in Bewegung. Die beiden Lords neben Roland warfen sich zu Boden. Der Ritter an der Tür zog sein Schwert, das klirrend aus der Scheide fuhr. Die Knappen in der Ecke riefen: »Schlägerei!«, »Blutfehde!« und ähnliches. Einer der Burschen stürzte einen Tisch um und verbarrikadierte sich dahinter. Ein Mädchen, das damit beschäftigt gewesen war, den Bauern aufzutragen, schleuderte einen Korb mit Brotlaiben in die Luft und floh in die Vorratskammer, wobei es schrie: »Baron Poll und Sir Borenson im selben Zimmer!« Der Wirt kam mit blasser Miene aus der Küche hervorgeschossen und hoffte nur, sein Mobiliar retten zu können.
Wohin Roland auch blickte, er sah verängstigte Gesichter.
Baron Poll stand einfach auf dem Treppenabsatz und
betrachtete die Szene mit einem amüsierten Lächeln auf den Lippen.
Roland hatte seine Freude an dem kleinen Scherz. Er senkte gefährlich seine Brauen, zog das Kurzschwert, und blickte drohend zu Baron Poll hinüber. Dann hackte er einen Brotlaib entzwei und versenkte die Spitze des Schwerts in der Theke, daß es zitternd steckenblieb.
»Wie es scheint«, sagte Roland, »ist der Hocker neben mir frei geworden, Baron Poll. Vielleicht möchtet Ihr mir beim Frühstück Gesellschaft leisten.«
»Aber gern, danke«, brummte der andere. Er watschelte zum Hocker hinüber, setzte sich, nahm den halben Brotlaib und tunkte ihn in Rolands Sauciere.
Sämtliche Anwesenden sperrten verwundert den Mund auf.
Roland fand, sie hätten kaum erstaunter sein können, wären Baron Poll und ich zwei Kröten, die wie die Kolibris mit langer Zunge auf Fliegenjagd durch den Raum geschwirrt wären.
Der junge Ritter entsetzte sich:
Weitere Kostenlose Bücher