Schattenherz
alt und fett. Meine Rüstung paßt mir nicht besser als die Unterkleider meiner Frau.«
Das einzugestehen war ihm schwergefallen. Der Baron wäre gern mitgekommen. Trotz allem wirkte sein Gegenüber nicht älter als etwas über vierzig. Wenn er die Übereigner zehn Jahre lang gehabt hatte, dann wäre er jetzt zwanzig nach üblicher Zeitrechnung. So alt wie Roland.
»Wir könnten diese Schlacht bei Carris umgehen«, schlug Roland vor, »und uns eine suchen, die uns mehr zusagt. Wieso begleitet Ihr mich nicht?«
»Ha!« lachte Baron Poll schallend. »Achthundert Meilen bis nach Heredon? Wenn Ihr Euch schon nicht um meine oder Eure Gesundheit sorgt, dann zeigt wenigstens Mitleid mit meinem Pferd!«
»Laßt Eure Besitztümer von Euren Bediensteten fortschaffen.
Sie brauchen Euch nicht als Bewacher.«
»Dann würde ich von meiner Frau einiges zu hören
bekommen – diese Xanthippe! Besser man überwirft sich mit Raj Ahten als mit diesem Weib.«
Eine Magd trat aus dem Gasthaus und schnappte sich
gekonnt eine der Hennen am Hals, die im Dreck herum-pickten. »Ihr kommt mit mir. Lord Collinsward verlangt es zum Frühstück nach Eurer Gesellschaft.« Sie drehte der Henne den Hals um und war bereits damit beschäftigt, ihr die Federn auszurupfen, während sie das tote Tier hinters Haus trug.
Augenblicke später erreichten die Ritter aus dem Süden das Dorf und schwenkten ihre Rösser zu den Stallungen herum.
Offenbar hatten sie die Absicht haltzumachen, ein paar Neuigkeiten zu hören und ihre Pferde versorgen zu lassen.
Da ihm der Stallbursche nun sein Pferd brachte, saß Roland auf und warf ihm eine kleine Münze zu. Die junge Stute war ausgeruht und ausgelassen. Es war ein großes, rötliches Tier mit einer weißen Blesse an den Fesseln und auf der Stirn. Es gebärdete sich, als sei es bereit für einen flotten Ritt in der kühlen Morgenluft. Roland brach auf und nahm die Straße, die durch ein Feld führte, über dem ein Dunstschleier hing, der bald darauf in Bodennebel überging.
Roland sog den Aschegeruch ein. Auf der Straße vor ihm marschierte Raj Ahtens Armee – eine Armee, von der es hieß, Zauberer und Unbesiegbare, Frowth-Riesen und wütende Kampfhunde gehörten ihr an.
Er mußte daran denken, wie ungerecht das Leben sein konnte. Das arme Huhn dort vor dem Gasthof war nicht auch nur eine Sekunde vor seinem Tod gewarnt worden.
Augenblicke später riß Roland das Geräusch eines forsch gerittenen Pferdes aus solch düsteren Gedanken.
Erschrocken sah er sich um, denn er befürchtete, es könnte sich um einen Räuber oder Meuchelmörder handeln.
So gab er seinem Pferd die Sporen, verließ die Straße und wollte gerade nach seinem Kurzschwert greifen, als ein riesenhafter Schatten hinter ihm aus dem Nebel donnerte.
Baron Poll saß hüpfend auf seinem Pferd. »Das trifft sich gut!« rief er. Der dicke Ritter hockte unsicher auf seinem Schlachtroß, einem Tier, das sich mit erschrockener Miene umsah, die Augen aufgerissen, die Ohren angelegt, als habe es Angst, sein Herr könnte ihm einen ordentlichen Knuff verpassen.
»Wolltet Ihr nicht zusammen mit Euren Reichtümern nach Süden reisen?« fragte Roland.
»Verdammte Reichtümer. Sollen sich von mir aus die Diener damit aus dem Staub machen! Die Xanthippe von einem Weib können sie gleich mitnehmen!« grölte Baron Poll. »Ihr hattet recht: Besser man stirbt jung, solange das Blut noch heiß in den Adern fließt, als alt zu krepieren und langsam dahinzusiechen, weil man zu fett ist!«
»Das habe ich nie behauptet«, protestierte Roland.
»Pah! Eure Augen haben es gesagt, Bursche.«
Roland steckte sein Schwert in die Scheide zurück. »Nun, wenn meine Augen so gesprächig sind, sollte ich meiner Zunge vielleicht eine Pause gönnen.« Damit lenkte er sein Pferd in den Nebel.
KAPITEL 3
Hostenfest
I m Morgengrauen wachte Myrrima mit Tränen in den Augen auf. Sie wischte sie sich aus den Augen und dachte noch im Liegen über das seltsam schwermütige Gefühl nach, das sie seit drei Tagen jeden Morgen überkam. Sie wußte nicht, wieso sie weinend aufwachte.
Eigentlich sollte sie sich nicht so fühlen. Es war der letzte Tag des Hostenfests – der Tag der Großen Feier, und eigentlich hätte dies der glücklichste Tag des Jahres sein sollen.
Außerdem hatte sie im Laufe der letzten Wochen mehrere kleine Siege errungen. Statt in ihrer Hütte draußen in Bannisferre zu schlafen, war sie in ihrem Zimmer im Turm des Königs auf Burg Sylvarresta aufgewacht.
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