Schattenherz
Während der letzten drei Tage hatte sie die Freundschaft von Königin Iome Orden gewonnen, und sie hatte zudem einen recht wohlhabenden Ritter geheiratet. Ihre Schwestern und ihre Mutter wohnten als Übereigner hier in der Burg, wo man sie ein Leben lang versorgen würde.
Sie hätte glücklich sein sollen. Statt dessen fühlte sie sich, als lastete die Hand des Schicksals auf ihr.
Draußen vor ihrem Fenster konnte sie die Annektoren des Königs hören, die im Bergfried der Übereigner ihren Sprechgesang anstimmten. Während der vergangenen Woche hatten Tausende von Menschen angeboten, ihre Fähigkeiten in den Dienst des Königs zu stellen. Obwohl Gaborn ein Eidgebundener Lord war und geschworen hatte, weder Muskel-oder Geisteskraft noch Durchhaltevermögen eines Mannes zu übernehmen, es sei denn, dieser trat es ihm aus freien Stücken ab, hatte er noch immer keine einzige Gabe akzeptiert. Manche befürchteten, er hätte diesen Brauch ganz aufgegeben, was allerdings seine Ritter nicht daran hinderte, ihn fortzusetzen.
Gaborn Val Orden schien über einen unerschöpflichen Vorrat an Zwingeisen zu verfügen, und während der letzten Woche hatte der Oberste Annektor mit seinen Gehilfen Tag und Nacht gearbeitet, behutsam Gaben an die Ritter Heredons ausgeteilt und versucht, die stark geschwächten Truppen des Königreichs wieder aufzufrischen. Bislang jedoch war der Bergfried der Übereigner erst halb voll.
Es klopfte leise an Myrrimas Tür. Sie wälzte sich auf den Seidenlaken ihres Betts herum und blickte durch ihr Erkerfenster nach draußen. Das Morgenlicht schien durch das bunte Glasbild ihres Fensters, Tauben zogen mit klagendem Gurren ihre Runden am blauen Himmel, den man durch einen Vorhang aus Efeu sah. Ihr wurde bewußt, daß sie das leise Klopfen geweckt hatte.
»Wer ist da?«
»Ich bin es«, rief Borenson.
Sie warf die Laken zurück, sprang auf, eilte zur Tür und riß sie auf. Er stand im Türrahmen, eine Lampe in den Händen, deren kleine Flamme in der zugigen Burg flackerte. Dort in der Dunkelheit wirkte er riesig, und er feixte wie ein Junge, der einen Scherz loswerden will. Seine blauen Augen funkelten, und sein roter Bart stand von seinem Gesicht ab.
»Du brauchst doch nicht zu klopfen«, lachte sie. Sie waren jetzt seit vier Tagen verheiratet, er hatte allerdings die letzten drei auf der Jagd verbracht. Schlimmer noch, sie hatten die Ehe nicht vollzogen, und Iome kam nicht umhin, sich über ihn zu wundern.
Sir Borenson schien durchaus von ihr hingerissen, als sie jedoch in ihrer Hochzeitsnacht bei ihm hatte schlafen wollen, hatte er bloß gemeint: »Wie kann ein Mann sich solchen Freuden hingeben, wenn er noch am selben Abend im Dunnwald auf Jagd gehen soll?«
Myrrima hatte keinerlei Erfahrungen mit Männern. Sie wußte nicht, ob es richtig war, sich durch seine
Zurückweisung verletzt zu fühlen. So hatte sie sich gefragt, ob er tatsächlich dermaßen übermäßig aufgeregt war wegen der Jagd. Hatte er vielleicht eine Kriegsverletzung, die ihn hindere, seine Zuneigung zu zeigen? Oder hatte Borenson sie vielleicht bloß geheiratet, weil Gaborn dies vorgeschlagen hatte?
Daher hatte sie sich tagelang verletzt und verwirrt gefühlt und sehnsüchtig auf seine Rückkehr gewartet. Jetzt war er wieder zu Hause.
»Ich hatte Angst, du würdest fest schlafen«, brachte er vor.
Er trat auf sie zu, hielt die Lampe weit zur Seite und wagte einen schüchternen Kuß. Sie nahm ihm die Lampe aus der Hand und stellte sie auf eine Truhe. »So doch nicht«, sagte sie.
»Wir sind doch verheiratet.« Nun packte sie ihn beim Bart und zog ihn nach unten, gab ihm einen deftigen Kuß und führte ihn zum Bett. Hoffentlich betrachtete er die Sache inzwischen gelassener.
Sie bedauerte es fast augenblicklich. Er war dreckverschmiert, und sein Kettenpanzer war mit einer dicken, getrockneten Schlammschicht bedeckt. Es würde Stunden dauern, ihr Bettzeug wieder zu säubern.
»Oh, das wird warten müssen«, grinste Borenson. »Natürlich nicht zu lange. Nur bis ich mich gewaschen habe.«
Sie blickte ihm fest in sein Gesicht, und die Schwermut, die sie noch Augenblicke zuvor empfunden hatte, war verflogen.
»Dann geh und wasch dich.«
»Noch nicht sofort«, meinte er vergnügt. »Ich muß dir etwas zeigen.«
»Hast du mir einen Eber zum Hostenfest geschossen?« lachte sie.
»Zu diesem Hostenfest gibt es keine Eber«, antwortete er.
»Die Jagd verlief nicht wie geplant.«
»Nun, die Lords bei Tisch werden sich mit
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