Schattenkampf
FBI-Methoden durchaus vorstellen konnte, dass das
Federal Bureau of Investigation über den Mord eines Spitzels oder angehenden Zeugen hinwegsähe, wenn es ihm in den Kram passte, wäre er dennoch nicht so weit gegangen zu glauben, dass FBI-Agenten tatsächlich einen Mord sanktionieren oder selbst begehen könnten.
Deshalb war der einzige Schluss, den er aus dem allem ziehen konnte, dass das FBI mehr über diesen Fall wusste, als es zuzugeben bereit war. Möglicherweise wussten sie sogar, wer die Khalils umgebracht hatte. Und Ron Nolan. Und wenn das nicht Evan Scholler gewesen war, hieß es, dass das FBI zugelassen hatte, dass der falsche Mann lebenslänglich im Gefängnis versauerte.
Falls ein Angehöriger der Khalil-Sippe Nolan aus Rache getötet hatte und dann einen oder beide Bowens, weil sie ihnen auf die Schliche zu kommen drohten, und wenn das FBI davon wusste …
Er zog das Telefon auf seinem Schreibtisch zu sich heran, nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer, die er auswendig kannte. »Hallo, Phyllis«, sagte er. »Hier Abe Glitsky. Ich müsste dringend mal mit Diz sprechen.«
Hardys Ermittler Wyatt Hunt führte seine Nachforschungen hauptsächlich an seinem Computer durch, den er in einem ehemaligen Lagerhaus neben der Hall of Justice stehen hatte, das er sein Zuhause nannte. Im Internet alles Nähere über die Khalil-Morde zu finden, war kein Problem. Außerdem hatte er am Wochenende noch einmal mit Hardy gesprochen, um sich Klarheit zu verschaffen, worin genau sein Auftrag bestand. Seit dem ersten Telefonat am Freitag, als Hardy nur hatte wissen wollen, ob ein Angehöriger der Khalil-Sippe von FBI-Agenten zum Fall Scholler vernommen worden war, hatte
sich der Sachverhalt nämlich etwas verkompliziert. Inzwischen war Hunts Hauptaufgabe, herauszufinden - ohne sich selbst in Gefahr zu bringen -, worum es bei diesen Vernehmungen gegangen war.
Inzwischen - es war Montagnachmittag - wusste er, dass der Khalil-Clan aus dreiundzwanzig Familien bestand, die sich zunächst über das Gebiet zwischen San Francisco und San Jose und dann über die Bucht bis nach Hayward und Fremont verteilt hatten. Die gängige Regelung sah so aus, dass jede Familie eine eigene Seven-Eleven-Filiale hatte; nur vier von ihnen besaßen mehr als einen Supermarkt. In den Staaten ansässig war die Familie, seit Ibrahim und Shatha Khalil 1989, vor Beginn des ersten Golfkriegs, mit ihren vier Kindern eingewandert waren.
Der älteste noch lebende Bruder, Abdel Khalil, war nach der Ermordung seiner Eltern als Sprecher der Familie aufgetreten und bot sich als vielversprechendste Informationsquelle an. Abdel Khalil besaß drei Supermärkte am Camino Real zwischen den Städten Millbrae und San Bruno im nördlichen Teil der Halbinsel, führte die Geschäfte jedoch in einem niedrigen Glasbau auf einer ehemaligen Mülldeponie am Flughafen von San Francisco.
Hunt stieg aus seinem Mini Cooper, ging in grellem flachem Sonnenlicht über einen baumlosen Parkplatz und betrat den nichtssagenden Empfang von AMK, Inc. An dem einzigen Möbelstück, einem unordentlichen Schreibtisch in der Mitte des Raums, saß ein dunkelhäutiger, etwas zerzauster junger Mann in Hemdsärmeln. Er sortierte irgendwelche Papiere. Auf dem Schreibtisch dampfte eine Tasse Tee. Der Bildschirmschoner des Computers zeigte eine künstlerische Darstellung eines Seven-Eleven-Supermarkts in einem typischen Einkaufszentrum.
Ein Radio spielte leise Musik, die Hunt als orientalisch, vielleicht irakisch bezeichnet hätte.
Hunt hatte den Termin am Morgen, wahrscheinlich mit diesem jungen Mann, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen vereinbart, denn er hatte sich dabei als Journalist ausgegeben, der einen Artikel über wirtschaftlich erfolgreiche Einwanderer schrieb. Als er sich jetzt vorstellte, bedachte ihn der junge Mann mit einem nervösen Lächeln, ließ ihn einfach vor dem Schreibtisch stehen und verschwand durch eine Tür nach hinten.
Eine Minute später schüttelte Hunt einem gut aussehenden Mittdreißiger die Hand. Mit seinem Schnurrbart hatte er eine gewisse Ähnlichkeit mit Saddam Hussein, auch wenn er amerikanische Kleidung trug - eine schwarze Anzughose und ein hellblaues Hemd mit offenem Kragen. »Mister Hunt, ich bin Abdel Khalil. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Eine Tasse Tee vielleicht, Kaffee, ein Coke?«
»Gern einen Kaffee. Schwarz, bitte.«
»Gut. Dann würde ich vorschlagen, wir unterhalten uns in meinem Büro.« Khalil schnippte zweimal kurz mit den
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