Schattenkampf
das Lou’s im Souterrain befand - der Eingang in der Bryant Street lag acht Stufen unter Straßenniveau -, war das Fenster des Tischs, an dem Hardy und Hunt saßen, hoch über ihnen und somit auf Bodenniveau der Durchfahrt, die an der Seite des Gebäudes entlanglief. Entsprechend ging der Blick, den man aus diesen Fenstern hatte und den sich wenige zu Gemüte führten, vorwiegend auf vorbeieilende Füße, Mülltonnen und den einen oder anderen Obdachlosen in der Horizontalen.
An diesem Abend achteten weder Hardy noch Hunt auf das Ambiente. Hardy, der den größten Teil des Nachmittags am ersten Entwurf seines Schriftsatzes zu der PTBS-Problematik für Evan Schollers Berufungsantrag gearbeitet hatte, saß, die Hände um einen Becher Kaffee gelegt, mit leicht gekrümmten Schultern da, als dächte er angestrengt nach. Hunt saß seitwärts am Tisch und drehte langsam sein Bierglas. Er hatte Hardy bereits in der Kanzlei Bericht erstattet, worauf Hardy Glitsky angerufen und das Treffen bei Lou’s vorgeschlagen hatte, um zu dritt durchzusprechen, was sie Neues hatten.
»Glaubst du nicht, dass die Tatsache, dass die Khalils mit dem FBI gesprochen haben, vollauf genügen wird?«, fragte Hunt. »Am Freitag war das noch alles, was du wolltest.«
»Daran kann ich mich noch sehr gut erinnern«, sagte Hardy, »an diese längst vergangenen glücklichen Zeiten. Und ich werde es auf jeden Fall als Hauptargument anbringen. Die Khalils hatten ein starkes Motiv, Nolan umzubringen. Das hätten die Geschworenen erfahren sollen, um dann selbst zu entscheiden, ob das berechtigte Zweifel an Evan Schollers Schuld in ihnen weckte. Es ist Sache der Geschworenen, und nicht des FBI, zu entscheiden, was wichtig ist und was nicht. Aber um Brady geltend machen zu können, müssen die zurückgehaltenen Beweise das Urteil mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit infrage stellen. Und allein der Umstand, dass irgendwelche unbekannten dritten Parteien ein Motiv hatten, Nolan umzubringen, wird dem Berufungsgericht vermutlich nicht als Begründung ausreichen, dass Evan Scholler ein neuer Prozess zusteht. Wir werden etwas Beweiskräftigeres brauchen, wenn wir unsere Argumentation darauf stützen, dass die Khalils Nolan umgebracht haben …«
»Was ich mir einfach nicht vorstellen kann, Diz. Wirklich. Es ist zwar nicht völlig auszuschließen, ich weiß, aber du hättest diesen Khalil reden hören sollen. Wenn der Kerl nicht felsenfest davon überzeugt war, dass Scholler Nolan umgebracht hat, sollte er sein Geld künftig unbedingt als Schauspieler verdienen.«
»Wenn andererseits die Alternative ist, dass es entweder er selbst oder einer seiner Verwandten getan hat, könnte das bei seinen schauspielerischen Qualitäten durchaus ein wenig nachgeholfen haben, meinst du nicht?«
Hunt zuckte mit den Schultern. »Trotzdem, mein Bauchgefühl sagt mir was anderes.«
»Na schön, meinetwegen, dann lassen wir das erst mal so stehen. Egal, wer Nolan also auf dem Gewissen hat, es waren nicht die Khalils, und es war auch nicht Scholler. Wer kommt dann überhaupt noch infrage?«
»Wie wär’s mit dem FBI? Vielleicht ging es dabei um wesentlich mehr Geld, und diese zwei verschwundenen FBI-Agenten haben es gefunden und sich damit aus dem Staub gemacht.«
»Könnte sein«, sagte Hardy ohne große Überzeugung. »Jedenfalls eine gute Story. Die ich allerdings eher bezweifle.«
»Ich auch«, sagte Hunt und deutete auf die Tür. »Und ich hasse das. Aber da kommt Glitsky. Vielleicht weiß er was.«
Es war nicht nur Glitsky. Mit ihm kam Bracco herein. Hardy stellte Hunt vor, der noch keinen der zwei Polizisten kennengelernt hatte. Lou kam an ihren Tisch und nahm ihre Bestellungen auf, für Glitsky grünen Tee, für Bracco eine Diet Coke. Die vier Männer hatten sich rasch in Fahrt geredet, als sie in den nächsten Minuten ihre neuesten Erkenntnisse austauschten. Vor allem Tara Wheatleys Hinweis auf den Überfall im Tenderloin District, der auf eine Beteiligung Nolans an diesen drei Todesfällen hindeutete, sorgte am Tisch für einen merklichen Anstieg des allgemeinen Erregungszustandes.
Als Letzter kam Bracco an die Reihe. Er erzählte den Zivilisten, was er Glitsky bereits berichtet hatte: Dass er Bowens Sekretärin Deni Pichaud ausfindig gemacht und sich mindestens eine Stunde lang mit ihr darüber unterhalten hatte, woran ihr Chef in den letzten Tagen vor seinem Verschwinden gearbeitet hatte. Viel zu bieten hatte Ms. Pichaud nicht gehabt. Wie
alle bereits
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