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Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Titel: Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Frau lange nicht weggeräumt hatte, nachdem sie und ihre gerade erwachsene Tochter anderthalb Jahre vor seiner ersten Begegnung mit Inger Johanne bei einem Unfall ums Leben gekommen waren. Er hatte monatelang ihren Baumwollpullover auf dem Kopfkissen liegen gehabt, bis ihr Geruch verflogen war und er den Pullover gewaschen und mit den anderen Kleidern in Kartons gepackt hatte, von denen er sich nicht trennen konnte. Selbst als er mit Inger Johanne zusammengezogen war, hatte er noch mehrere Kartons mit Elisabeths und Trines Sachen behalten.
    »Die sind für Amund«, murmelte er, als er sie auf dem Dachboden verstaute. »Er war doch noch ein Baby, als seine Mutter gestorben ist. Er braucht etwas, um sich an sie zu erinnern. Und an seine Großmutter.«
    Amund war inzwischen dreizehn und liebte seinen Großvater über alles, aber für Frauenkleider und Mädchenspielzeug aus den Achtzigerjahren interessierte er sich nur in Maßen. Die Kartons standen trotzdem noch da.
    Inger Johanne schluckte das letzte Stück Brot hinunter und legte das Gesicht in die Hände.
    Ellen konnte es nicht gewesen sein.
    Ellen konnte Sander nicht weggeräumt haben. Sie war zu aufgelöst, zu niedergeschlagen. Sie konnte sich ja kaum auf den Beinen halten, konnte nicht einmal ein Gespräch führen. Das Systematische an der Beseitigung von Sanders Sachen kam ihr plötzlich geradezu bösartig vor, und Inger Johanne merkte, dass sie ihr Besteck krampfhaft umklammert hielt.
    Jon konnte es auch nicht gewesen sein.
    Jon hatte seinen Jungen geliebt. Da war sie sich sicher. Sie hatte die beiden so oft zusammen gesehen, und manchmal hatte es ihr einen Stich gegeben, dass Jon den Jungen immer wieder tadelte. Aber es geschah immer mit einem Lachen, nach dem der Vater dem Jungen durch die Haare fuhr. Einmal, als sie zu einem Familienfest dort gewesen waren, das war jetzt wohl zwei oder drei Jahre her, war Sander vom Trampolin gefallen. Die Grobmotorik des Jungen stand in keinem Verhältnis zu seiner Unternehmungslust, und als er einen Salto versuchte, wurde er gegen das Sicherheitsnetz geschleudert und fiel durch einen Riss auf den Boden. Jon hatte neben Inger Johanne gesessen, als es passierte. Sein Blick, die Angst, als er aufsprang und zu dem Jungen hinüberstürzte, sagte Inger Johanne mehr darüber, was Jon und Ellen durchmachten, als Ellens Klagen.
    Beide Eltern liebten Sander.
    Trotzdem räumten sie ihn weg.
    Inger Johanne erstarrte. Sie hörte etwas, weit weg und doch sehr nah. Ihr Gehör hatte sich in siebzehn Jahren voller Angst und Sorge geschärft, und sie legte den Kopf schräg, um das Geräusch zu lokalisieren.
    Jemand weinte.
    Inger Johanne legte das Besteck weg und erhob sich, so leise sie konnte. Sie versuchte, nur auf die Bodenbretter zu treten, die ganz bestimmt nicht knackten, und bewegte sich in einem absurden langsamen Tanz auf das Schlafzimmer zu. Als sie mit offenem Mund und außer Atem vor der Tür stehen blieb, um zu horchen, wurde ihr eiskalt.
    »Yngvar«, flüsterte sie am Ende und öffnete die Tür. »Ich bin’s.«
    Sie zog die Tür hinter sich zu und ging die drei Schritte bis zur Bettkante.
    »Was ist denn los?«, fragte sie leise und legte unter der Decke die Hand auf seinen Rücken. Er lag auf dem Bauch und hatte sich ein Kissen über den Kopf gezogen.
    Sein Weinen war fremd und beängstigend. Inger Johanne legte sich ins Bett. Er drehte ihr den Rücken zu und vergrub sein Gesicht in den Händen, er schniefte und schluchzte leise, während sie sich in einer misslungenen Umarmung an ihn schmiegte. Er war riesig geworden. Breit und schwer krümmte er sich zusammen wie ein Kind und presste sich ein Kissen auf den Mund, bis er keine Luft mehr bekam und in einem halb erstickten Wimmern ausatmete.
    »Was ist los?«, fragte sie wieder und wieder, bis sie endlich begriff, dass Yngvar es ihr nicht sagen konnte.
    »Herrgott«, murmelte der ältere Mann und legte die linke Hand um seinen mageren Nacken.
    Der grünen Krankenhauskleidung sah man an, dass er seit mehr als vierundzwanzig Stunden im Dienst war. Seine Brille saß ganz unten auf der schmalen krummen Nase und drohte hinunterzufallen, als er sich mit harten, groben Bewegungen massierte.
    »Und das ist nur der Anfang. Haben wir genug Leute einbestellt?«
    Die viel jüngere Frau, die Zivil trug und sich die blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, seufzte laut.
    »Alles, was noch kriechen kann«, sagte sie. »Obduzenten, Radiologen, Röntgenassistenten,

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