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Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Titel: Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Vater«, sagte Inger Johanne langsam. »Juristisch und sozial. Ich kann Ihnen versichern, dass alle Studien zeigen, dass ...«
    »Aber was, wenn sie es erfahren?«, schluchzte Helga Mohr und presste sich die Hände auf die Brust. »Was, wenn die Polizei erfährt, dass Sander nicht Jons Sohn war? Sie werden ihn doch nie in Ruhe lassen.«
    Inger Johanne hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte. Sie konnte der vor Angst vergehenden alten Frau, die noch immer die Tür versperrte, nicht in die Augen sehen, und sie wollte mit der ganzen Sache nichts zu tun haben. Also starrte sie das Foto von Sander an. Er sah seltsam verlegen aus, mit frisch geschnittenen Haaren, sommerlich brauner Haut und einem Mäppchen mit dem Bild eines Dinosauriers. Ihr ging auf, dass es das erste Foto von Sander war, das sie jemals gesehen hatte. Sein Lächeln war vorsichtig, fast verletzlich.
    Als ob er Angst hätte, jemand könnte es ihm wegnehmen.
    Ellen Mohr lag noch im Bett, obwohl es auf zwölf Uhr zuging. Von dem Schlafmittel, das ihre Schwiegermutter ihr mitgebracht hatte, war nichts mehr übrig. Im Krankenhaus, wo sie am Ende mit Gewalt von Sander weggerissen worden war, hatte jemand erwähnt, dass sie ihr ein Beruhigungsmittel mitgeben wollten. Aber dann hatten sie es vergessen. Ab und zu versank sie in einen trägen Zustand mit beängstigenden, wirklichkeitsnahen Träumen, aber nach wenigen Minuten erwachte sie dann mit hämmerndem Puls und Eisengeschmack im Mund.
    Die Leere im Haus war plötzlich unerträglich.
    Jon war von frühmorgens bis spätabends bei der Arbeit. Das sagte er jedenfalls. Wieso es mitten in der Ferienzeit so viel Arbeit geben konnte, war unbegreiflich, aber er ließ nicht mit sich reden.
    Es gab auch nicht viel zu sagen.
    Sie sah ihn nachts, mit halb geschlossenen Augen, wenn er still neben ihr lag. Ihre Hände schmerzten vor Sehnsucht danach, unter der Decke den Weg zu finden zu seiner Haut, nach der Wärme, die er ihr verweigerte, indem er ihr den Rücken zukehrte und die ganze Nacht. am Rand des Bettes liegen blieb, mit einem Atem, der verriet, dass auch er kaum schlief.
    Es gab nichts mehr zu sagen.
    Nicht einmal über die Beerdigung.
    Am Vortag hatte sie Henrik Holme angerufen, um zu fragen, wann sie Sander zurückbekommen könnten. Es hatte sie all ihre Kraft gekostet. Nach dem ergebnislosen Gespräch hatte sie eine Flasche Rotwein geöffnet und in einer halben Stunde geleert. Der Alkohol machte sie nicht müde, wie es geplant gewesen war. Er jagte sie stattdessen umher, auf der Suche nach einer Möglichkeit, aus dem Haus zu fliehen, das sie inzwischen schon hasste. Aber sie wollte in diesem Zustand nirgendwo hingehen. Im Badezimmer zupfte sie dann die Scherben aus dem zerbrochenen Spiegel. Eine große, geformt wie ein Pferdekopf, schnitt ihr tief in den Daumen. Der Schmerz kam ihr seltsam befreiend vor, und sie bohrte die Scherbe so tief, dass sie glaubte, gegen den Knochen zu stoßen. Schockiert über sich selbst riss sie die Scherbe so rasch heraus, dass die Wunde noch größer wurde. Mit drei Kompressen und einem großen Verband hatte sie die Blutung endlich zum Stillstand bringen können. Als sie wieder nüchtern wurde, öffnete sie noch eine Flasche.
    Jetzt lag sie im Bett und spürte den Puls in ihrem verletzten Daumen. Ein Streifen grelles Sonnenlicht fiel durch den Vorhangspalt und teilte das Zimmer in zwei Teile.
    In Sanders Zimmer war sie noch nicht wieder gewesen.
    Irgendwer hatte seine Buchstaben abgenommen.
    Plötzlich schlug sie die Decke zurück und stand auf.
    Die Stille im Haus machte das Atmen schwer.
    Viele wussten, dass Sander tot war. Einige von Ellens alten Klassenkameradinnen hatten am Samstagvormittag angerufen, um zu fragen, ob das abgesagte Essen vielleicht später im Sommer nachgeholt werden könnte. Jon hatte düstere Antworten gegeben, und die Gespräche hatten nur dreißig Sekunden gedauert.
    Als Ellen vierzig geworden war, hatte Jon ein sündhaft teures Fest arrangiert. Auf der Gästeliste standen hundertfünfzig Freunde und Bekannte, dabei hatte sie schon so streng ausgewählt, dass manche beleidigt gewesen waren. Und das war nur drei Jahre her.
    Jetzt herrschte Stille.
    Es waren zwar Blumen gekommen, einige große Sträuße mit steifen Beileidsworten, aber seit Samstag hatte niemand mehr angerufen. Nicht einmal Inger Johanne hatte sich seit Samstagabend gemeldet.
    Wenn sie nur bald die Beerdigung abhalten könnten. Dann würden sie kommen. Natürlich würden sie sich

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