Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Titel: Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
Vom Netzwerk:
vorgekommen?«
    »Dass er zur Schule gebracht wurde? Alle Kinder werden doch ...«
    »Von seinem Vater. Hat er ihn oft gebracht?«
    »Nein ... na ja, die Kinder sind ja meistens schon da, wenn wir Lehrerinnen in die Klasse kommen, da weiß man nicht genau, wer wen bringt. Die Eltern sind dann schon wieder weg. Ich hatte aber den Eindruck, dass seine Mutter ihn gebracht und geholt hat. Meistens.«
    Es war etwas zu warm im Zimmer, obwohl die Fenster halb offen standen. Henrik Holme schwitzte, und der grobe Wollstoff des Sessels kratzte durch seine Hose.
    »Hat er oft gefehlt?«
    »Nein, wirklich nicht. Ich kann mich nicht erinnern, dass ...«
    Als sie sich die schulterlangen graublonden Haare mit der linken Hand hinters Ohr strich, sah Henrik Holme, dass sie sogar an den Händen Lachgrübchen hatte.
    »Wissen Sie«, sagte sie offenbar überrascht. »Ich glaube, Sander hat nicht einen einzigen Tag gefehlt. Das kann ich natürlich überprüfen.«
    »Mmm.« Henrik nickte gleichgültig. »Aber ...«
    Es juckte ihn jetzt am ganzen Körper.
    »Sie liegen falsch«, sagte Haldis Grande ernst. »Sanders Eltern waren vorbildlich. Es kam zwar vor, dass er mit Pflastern, Verbänden und blauem Auge in die Schule kam. Zweimal mit dem Arm in der Schlinge. Aber so war Sander eben. Ein großer, kräftiger Junge mit ADHS und großem Tatendrang. Sein Tod war ein Unglück. Bei diesem Terroranschlag ...«
    Die kleinen schmalen Augen wurden feucht.
    »... bei diesen schrecklichen Ereignissen sollte man doch meinen, dass ihr bei der Polizei anderes zu tun habt, um ehrlich zu sein.«
    »Das haben wir auch«, murmelte Henrik. »Aber ich habe das hier noch immer nicht ganz verstanden.«
    »Was verstehen Sie denn nicht?«, fragte sie ein wenig ungeduldig. »Ich glaube, ich habe Ihnen jetzt alles über Sander gesagt, was ich weiß.«
    »Sie haben eben gesagt, dass er oft verletzt war.«
    »Nein! Ich habe gesagt, dass er sich nicht öfter verletzt hat als andere Jungen.«
    »Nicht in der Schule, nein. Aber Sie haben gesagt, dass er häufiger mit Verletzungen in die Schule kam.«
    Jetzt schwieg sie. Eine leichte Röte breitete sich in ihrem Gesicht aus. Sie blinzelte mehrmals und hob die Teetasse zum Mund. Die war fast leer, aber das hinderte sie nicht daran, den Rand an die Lippen zu pressen und ein Schlürfgeräusch hervorzubringen, ehe sie die Tasse langsam wieder auf die Untertasse stellte.
    »Er hatte doch diese Krankheit«, sagte sie leise.
    »Kinder in diesem Alter gehen doch so gegen halb neun, neun Uhr schlafen«, sagte Henrik Holme vage und schaute dabei aus dem Fenster. »Wir haben bereits festgestellt, dass er jeden Tag achteinhalb Stunden auf dem Schulgelände verbringt. Dort spielt er in den Pausen mit anderen Kindern, und sicher tut er das auch in der Schulfreizeit.«
    »Aktivitätsschule«, korrigierte Haldis Grande.
    »Er verletzte sich in diesen Stunden nicht mehr als andere Kinder«, sagte er, ohne sich ablenken zu lassen. »Zu Hause, unter Aufsicht der Eltern, ist er also dreieinhalb Stunden, ehe er schlafen geht. Dort zieht er sich Verletzungen zu.«
    Jetzt starrte er Sanders Lehrerin ins Gesicht.
    »Dort bricht er sich den Arm, dort holt er sich blaue Augen.«
    Haldis Grande beugte sich mit großer Mühe über den Tisch vor. Als sie ihm und sich Tee einschenkte, bemerkte er, dass auch sie jetzt schwitzte. Der Maiglöckchenduft wurde unangenehm stark, fast penetrant, und das Mondgesicht glänzte.
    »Das habe ich mir noch nie überlegt«, sagte sie endlich, als er ihren Blick nicht loslassen wollte.
    »Haben Sie ihn je gefragt?«
    »Wonach denn?«
    »Wie er sich verletzt hatte.«
    »Nein. Doch, natürlich, ab und zu, aber ...«
    »Was hat er dann gesagt?«
    »Das war unterschiedlich«, sagte sie zögernd. »Manchmal nutzte er die Gelegenheit, montagmorgens, wenn alle in der Klasse erzählen dürfen, was sie am Wochenende gemacht haben, um sich ausführlich über irgendein leicht dramatisches Ereignis zu verbreiten. Es kam aber auch vor ...«
    Eine große rote Katze kam lautlos ins Zimmer. Um den Hals trug sie einen Plastiktrichter, der bei jedem Schritt ein wenig wippte. Beim Sofa warf die Mieze dem Polizisten einen eisblauen Blick zu, dann sprang sie weich und geschmeidig auf den Schoß ihrer Besitzerin. Sie wirkte absolut nicht krank, aber an der einen Seite war ein etwa zehn Zentimeter breiter Fleck glatt rasiert und teilweise von einem Pflaster bedeckt. Mit halb geschlossenen Augen machte die Katze es sich

Weitere Kostenlose Bücher