Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)
damit waren sie fast gleich gut. Sie spielten ein Jahr lang jede Woche, danach war Joachim so viel besser, dass es keinem von ihnen mehr Spaß machte.
Schon nach dem ersten Mal, dreieinhalb Jahre zuvor, hatte Jon ihn zu einem Bier zu sich nach Hause eingeladen. Joachim hatte leicht verdutzt reagiert, es wäre doch natürlicher gewesen, in eine nahe gelegene Kneipe zu gehen. Er nahm dennoch an und lernte auf diese Weise Sander kennen.
Sander war ein komischer Vogel.
Obwohl Jon also jede Woche Squash spielte, war er physisch gesehen ein hoffnungsloser Fall. Er war groß und schlaksig, mit schmalen Schultern und unbeholfener Körpersprache. Seine Kondition war schon in Ordnung, aber der Mann konnte kaum einen Ball treffen oder anderswo Rad fahren als auf Asphalt. Ganz zu schweigen von Salto schlagen, was Joachim aus dem Stand heraus schaffte. Sander war außer sich gewesen, als er das zum ersten Mal gesehen hatte. Auf dem Trampolin fiel der Salto viel höher und fast gerade aus. Der Junge war groß und ziemlich ungeschickt, aber er gab sich nie geschlagen, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Mit sieben Jahren hatte er das Kunststück auf dem Trampolin dann endlich selbst geschafft. Alles andere als gerade, und meistens landete er auf dem Hintern, aber dennoch. Seine unbändige Freude darüber ließ Joachim nicht kalt. Bei dem Jungen fühlte er sich gewissermaßen gebraucht. Er entdeckte, dass Sander durchaus Geduld aufbrachte, wenn er etwas tun durfte, was ihm gefiel. Zeichnen, zum Beispiel, er konnte zwei Stunden lang ohne Pause sitzen bleiben, wenn er nur Papier und Filzstifte bekam. Diese ADHS-Diagnose, die Ellen zu den unpassendsten Gelegenheiten vorbrachte, mochte ja zutreffen, aber dann war es noch schwerer zu begreifen, warum die Eltern den Jungen um jeden Preis zu so vielen langweiligen Dingen zwingen wollten. Bei Joachim hatte Sander schwimmen gelernt, hatte sich im Frognerbad vom Fünfmeterbrett fallen lassen, war im Sommer die Slalomloipen am Grefsenkollen mit dem Fahrrad heruntergefahren und hatte außerdem Auto fahren gelernt. Das war zwar weder legal noch klug, aber sie hatten das auf einem Parkplatz in Maridalen gemacht. Joachim ertappte sich bei einem Lächeln, als er daran dachte, während er vor der Garage von Jon und Ellen hielt. Sander hatte komisch ausgesehen, ganz vorn auf dem Fahrersitz, auf einem Kissen, auf dem er gerade so die Pedale erreichte. Die Nase lugte haarscharf über das Armaturenbrett, wenn er den Hals reckte, und glücklich fuhr er so lange im Kreis, bis ihnen beiden schwindlig wurde.
Das Lächeln verschwand, als Joachim den Motor abstellte, die Handbremse zog und daran dachte, warum er hier im Glads vei war.
Am Mittwochmorgen, sobald Jon im Büro war, hatte Joachim Ellen angerufen und gefragt, ob er vorbeikommen könne. Sie wirkte abweisend, fast unfreundlich. Vielleicht kein Wunder. Wenn er bedachte, wie schwer er selbst Sanders Tod nahm, konnte er sich gut vorstellen, wie ihr zumute war. Am liebsten wäre er sofort hingefahren, aber Ellen hatte gesagt, es gehe erst am Freitag. Warum, wusste er nicht, und eine entsprechende Frage hätte sich ja nicht gerade gut gemacht. Eigentlich hatte er nie begreifen können, womit Ellen ihre Zeit verbrachte. Sander war den ganzen Tag in der Schule. Außerdem war er viel bei seiner Großmutter, und Joachim selbst holte den Jungen alle acht oder zehn Tage zu sich, oft gleich von der Aktivitätsschule, und Sander war dann bis zur Schlafenszeit bei ihm. Sander wollte immer bei ihm übernachten, und manchmal durfte er das auch. Dann lag er glücklich und zufrieden neben Joachim in dem riesigen Doppelbett, mit Batman-Schlafanzug und einem weichen grünen Plüschschwein im Arm. Das Schwein hieß Klonken, wohnte bei Joachim und war ihr Geheimnis. Zu Hause hatte Sander nur Spielzeug, seine Eltern fanden, er sei zu groß für Schmusetiere. Ab und zu, wenn Jon sich darüber beklagte, dass Sander einfach nicht einschlafen wollte, hatte Joachim sich versucht gefühlt, Klonken zu erwähnen. Bei Joachim ging Sander immer gern ins Bett.
Trotzdem sagte er nichts.
Womit Ellen ihre viele Zeit füllte, war jedenfalls ein Rätsel. Training vielleicht. So sah sie aus.
Joachim blieb für einen Moment oben auf der breiten Schiefertreppe stehen und schaute über die Stadt. Das Licht stach ihm in die Augen, obwohl er eine Sonnenbrille trug. Der Himmel war fast weiß, mit noch weißeren Gutwetterwolken im Süden. Es war schon elf. Wenn er nur
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