Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Titel: Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
Vom Netzwerk:
aufzustehen, aber sein Kopf war zu schwer und sein Körper zu träge.
    Unter der Decke wurde es bald zu warm, doch er fror, sowie er sie beiseiteschlug.
    Der Wecker zeigte 06.17 Uhr.
    Er drehte sich auf die Seite und bereute, kein Schlafmittel mehr im Haus zu haben. Im Mai hatte er seine Schwester, die Ärztin war, um Imovane gebeten. Da er nie krank war und bisher auch nie über Schlafprobleme geklagt hatte, hatte sie sich Sorgen gemacht. Er schob alles auf die Arbeit, zu viel zu tun, und dann darauf, dass es mit Anja nicht mehr so gut lief. Das alles stimmte ja eigentlich auch. Anjas hatte er sich zwei Wochen später entledigt. Das andere war schlimmer. Vier Nächte lang hatte er vor dem Schlafengehen eine Tablette genommen. Die Trägheit und das Gefühl, nicht mehr in seinem eigenen Körper zu Hause zu sein, veranlassten ihn dann, den Rest in der Toilette zu entsorgen. Das hätte er nicht tun sollen.
    Auf dem Nachttisch, neben dem Wecker, stand eine Holzfigur, die man mit viel gutem Willen ein Boot nennen konnte. Joachim erhob sich auf den einen Ellbogen und zog es vorsichtig zu sich heran. Es war vielleicht zwanzig Zentimeter lang und der Bug viel zu stumpf. Das Steuerhaus, ein aufgeleimter Betonbrocken, den Sander auf dem Schulhof gefunden hatte, saß schief und war zu groß. Der Junge war ein hervorragender Zeichner gewesen, aber sowie die Figuren dreidimensional wurden und zurechtgeschnitzt werden mussten, verfiel er in seine übliche Ungeschicklichkeit. Als er das Fahrzeug, stolz und glücklich, in der Badewanne zu Wasser ließ, drehte es sich sofort um sich selbst, um dann langsam in dem klaren Wasser zu versinken. Sander hatte geweint und war untröstlich gewesen, bis Joachim ihm versprochen hatte, mit ihm zusammen ein neues zu bauen. Dieses hier sei so schön, man müsste es eigentlich zur Zierde aufstellen, hatte ihn Joachim getröstet und das Boot geschenkt bekommen.
    Es fühlte sich schwer an in seiner Hand.
    Joachim roch an dem Boot.
    Irgendwie roch es nach Sander: Sand und Farbe und noch etwas anderes.
    Rasch stellte er das Boot wieder hin, schlug die Decke zurück und stand auf. Die Boxershorts klebten an seinen Oberschenkeln, und er riss sie sich vom Leib, ehe er ins Badezimmer ging und in der Dusche den Kaltwasserhahn aufdrehte.
    Sander war tot, ansonsten aber würde alles gut gehen. Er war jetzt Herr der Lage. Wenn er die Uhr zurückdrehen könnte, würde Sander noch leben. Das war Joachim klar, es war ihm klar gewesen, er hätte etwas unternehmen müssen, aber im Leben gab es keine Rücklauftaste, und alles musste eben seinen Lauf nehmen. Er ließ sich von dem eiskalten Wasser wecken, bis er einen klaren Kopf hatte und sein Körper wieder das war, was er sein sollte: sein Verbündeter.
    Wenn er nur nicht diese verdammte Angst gehabt hätte.
    Nach der großen Katastrophe hatte Henrik Holme das Gefühl, gar nicht mehr richtig bei der Polizei zu sein. Als der Terrorist am Freitagabend festgenommen wurde und es sich herausstellte, dass er in Oslo wohnte, wurde Henrik Holme zu dem reduziert, was er ja auch war: eine unerfahrene Sommeraushilfe. Er gehörte zu keiner Abteilung, außer der, die ihm diese dünne Akte über einen Todesfall beschert hatte, für den sich kein Arsch interessierte. Die zuständige Juristin stand auf dem Deckel. Vermutlich hatte die Frau bisher noch keine Ahnung von dem Fall.
    Streng genommen war es wohl auch gar kein Fall.
    Obwohl Jon Mohr sich in der knappen halben Stunde, die die Vernehmung am Vorabend gedauert hatte, wie ein Verrückter aufgeführt hatte, konnte Henrik Holme ihm eigentlich keinen Vorwurf machen. Wenn er ehrlich sein sollte, so ganz für sich hinter dem Schreibtisch, hatte der Mann doch ganz recht. Jon Mohr hatte ihn nicht angefasst. Hatte ihm nur Angst gemacht, und teilweise war Henrik Holme selbst daran schuld. Seine Worte waren nicht gerade taktvoll gewesen. Es musste eine grauenhafte Belastung sein, ein Kind zu verlieren, und wenn es dann auch noch zu Hause passierte, machte man sich bestimmt schreckliche Vorwürfe.
    Die grüne Mappe enthielt wohl gar keinen Fall.
    Aber es war Henrik Holmes Fall, der einzige, den er hatte.
    Jetzt saß er in diesem tristen, anonymen Büro und begriff nicht ganz, warum er überhaupt hergekommen war. Es war Sonntagmorgen, und wenn auch viele andere in dem großen geschwungenen Gebäude im Grønlandsleiret aus den Ferien oder der Freizeit zurückgerufen worden waren, galt das offenbar nicht für ihn. Niemand hatte seit

Weitere Kostenlose Bücher