Schattenkinder - im Zentrum der Macht
könne.
»Also hat dieser gefährliche Mann Luke mitgenommen und dich hier gelassen, aber wir wissen nicht, warum«, fassteMark zusammen. Er stieß mit der Stiefelspitze in die festgetretene Erde des Scheunenbodens. »Hast du schon gehört, dass die Bevölkerungspolizei jetzt die Macht übernommen hat? Meine Eltern hocken drinnen zitternd vor dem Radio und stehen Todesängste aus. Es ist, als täte die Welt untergehen, nur dass es hier draußen noch nicht ganz so weit ist. Ihre größte Angst ist, dass Luke etwas zustoßen könnte und sie es nicht einmal erfahren würden.« Er kickte noch einmal in den Dreck und hob dann den Kopf. »Los, wir holen ihn.«
»Hä?«, sagte Trey. Er hatte schon den Faden verloren, als Mark zum ersten Mal in die Erde kickte.
»Du hast es doch gehört«, meinte Mark. »Ich habe gesagt, wir holen ihn. Wir fahren zum Haus der Grants, holen Luke nach Hause und alles ist wieder in Ordnung.«
Trey blieb vor ungläubigem Staunen der Mund offen stehen. Er hatte Lee schon immer für tollkühn gehalten. Aber jetzt wusste er, dass sein Bruder sogar noch verrückter war.
»Wir müssen nirgendwohin fahren«, brachte er schließlich heraus. »Wir können telefonieren. Wir rufen bei den Grants an oder bei Mr Hendricks in der Schule – Mr Hendricks kann Lee bei den Grants abholen lassen, wenn wir ihn nur anrufen . . .«
Eigentlich meinte er damit, dass Mark anrufen sollte. Er oder seine Eltern. Bei dem Gedanken, dass jemand anderes sich um alles kümmern könnte und er nichts tun musste, fühlte er sich gleich besser. Dies war ein guter Plan.
Doch Mark schüttelte den Kopf.
»Die Bevölkerungspolizei hat gestern im ganzen Land die Telefonleitungen lahm gelegt – aus Sicherheitsgründen, habensie gesagt. Und jetzt haben sie auch noch den Strom abgeschaltet – was ist, wenn sie kommen und uns als Nächstes das Benzin wegnehmen? Wir können nicht einfach herumhocken und warten. Wir müssen Luke retten.«
Er klang fast glücklich bei dem Gedanken, dass es mehr als ein Telefonat brauchen würde, um seinen Bruder zu finden.
»Wir wissen doch gar nicht genau, wo er ist«, protestierte Trey.
Er war mit einem Mal verzweifelt bemüht, nicht in Marks gefährlichen Plan verwickelt zu werden. »Wir wissen nicht, ob der Chauffeur nicht vielleicht gelogen hat, als er sagte, dass er zum Haus der Grants zurückfährt. Nach Luke zu suchen ist . . . wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.« Er hoffte, Mark würde den landwirtschaftlichen Bezug zu schät zen wissen. Doch der Vergleich ging nicht weit genug. Trey erinnerte sich daran, was Mrs Talbot ihm von den Straßen sperren und den Haus-für-Haus-Durchsuchungen erzählt hatte. »Nein – jetzt, wo die Bevölkerungspolizei an der Macht ist, wäre es wie die Suche nach einer Nadel in einem
brennenden
Heuhaufen.«
»Oh, damit kenne ich mich aus«, meinte Mark leichthin. »Das haben wir oft gespielt, nachdem wir die Tiere abschaffen mussten und kein Heu mehr brauchten. Man wirft ein Streichholz in einen Heuhaufen, gibt dem Feuer drei Sekunden Vorsprung und fängt dann an zu suchen. Wenn man sich beeilt, findet man die Nadel immer.«
Trey konnte diesen Kerl nur noch anstarren. Mark war nicht nur irrsinnig wagemutig – er war ganz und gar durchgedreht. Sehnsüchtig dachte Trey an sein behagliches Schrankversteckin der Küche der Talbots. Er konnte in null Komma nichts dorthin zurück. Auf jeden Fall würde er keine Sekunde länger in der Gegenwart dieses Irren bleiben.
Doch dann stellte sich Smits vor sie hin.
»Du wirst Mark doch helfen, oder, Trey?«, fragte er. »Wenn ihr beide zusammenarbeitet, könnt ihr Lee bestimmt finden. Nicht wahr, du wirst ihn retten?«
Das ist unmöglich
, dachte Trey.
Es ist lächerlich, ohne Aussicht auf Erfolg zwei weitere Leben aufs Spiel zu setzen. Das ist Wahnsinn. Ein Selbstmordkommando!
Er dachte daran, wie verkehrt Smits’ Vorstellung von ihm doch war, wenn er annahm, dass Trey jemals in der Lage gewesen sei, jemanden zu schützen oder sich um jemanden zu kümmern. Dabei brauchte Trey selbst jemanden, der sich um ihn kümmerte.
Dass ich Lee das Leben gerettet habe, war ein reiner Zufallstreffer
, hätte er Smits am liebsten entgegengeschleudert.
Ich kann überhaupt nichts. Ich bin ein Feigling!
Doch was er Smits zur Antwort gab, war: »Ja.«
10. Kapitel
O kay. Kann’s losgehen?«, fragte Mark.
»Jetzt gleich?«, krächzte Trey. Er hätte gern ein wenig mehr Brimborium gehabt – eine offizielle
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