Schattenkinder - im Zentrum der Macht
Gitterstäbe des Käfigs auseinander biegen, Mark?«, schlug Trey vor. »Du bist stark –«
»Hab ich schon versucht«, entgegnete Mark. »Der Käfig ist noch stärker.« Er schwieg einen Moment und meinte dann: »Ich glaube, ich kann Luke jetzt besser verstehen. Für ihn war es, als hätte er sein Leben lang in einem Käfig gesessen. Und ich habe geglaubt, er würde sich bloß anstellen.«
Dies war nicht der richtige Augenblick, Mark daran zu erinnern, wie gefährlich es war, Lees wahren Namen auszusprechen, und dass es sicherer war, ihn bei seinem falschen Namen zu nennen.
»Als er zurückkam, war es fast so, als hätte er mich über holt «, erzählte Mark, als rede er im Traum. »Er hatte Abenteuer erlebt und die Welt gesehen und dieser kleine Peter – oder Smits – hat zu ihm aufgesehen, als wäre er der größte Held auf Erden.« Mark zögerte kurz und gestand dann: »Ich glaube, ich war eifersüchtig.«
Trey war nicht der Ansicht, dass Lee mehr von der Welt gesehen hatte als die Hendricks-Schule und das Haus der Talbots, aber er verstand, was Mark meinte. Auch er hatte Leeimmer so gesehen. In der Hendricks-Schule hatte Lee sogar dem Verräter Jason die Stirn geboten. Und er war in ein brennendes Gebäude zurückgerannt, um seine Mitschüler zu retten. Trey hatte nie verstanden, woher Lee den Mut nahm. Obwohl – auch Mark kam ihm stark und mutig vor.
»Mark, du bist hergekommen, um deinen Bruder zu retten. Du bist genauso ein Held«, wandte er ein.
»Ich hatte aber keinen Erfolg«, flüsterte Mark. »Ich weiß nicht einmal, wo Luke ist. Sie werden mich umbringen und meine Eltern werden nie erfahren, was aus uns geworden ist. Vielleicht – vielleicht kommen sie durch mich sogar meiner Familie auf die Spur und bestrafen sie auch . . .« Er brach ab.
»Ein Riesenschlamassel«, sagte Trey. »Aber das ist nicht deine Schuld.«
Er wusste nicht einmal, wie er selbst entkommen sollte, wenn Mark erst fort war. Doch es kam ihm selbstsüchtig vor, an die eigene Zukunft zu denken, während es für Mark keine mehr gab.
»Es war dumm von mir, herzukommen und zu glauben, ich könnte Luke helfen«, sagte Mark bitter.
»Nein, war es nicht«, widersprach Trey. »Wir mussten es versuchen.«
Seine Worte hatten selbst in seinen eigenen Ohren einen falschen Klang. Wie gefährdet Trey auch immer sein mochte, er saß nicht zum Tode verurteilt in einem Käfig wie Mark. Mit welchem Recht erzählte er ihm, sie hätten das Richtige getan?
Aber Mark schien es ihm nicht zu verübeln.
»Trey?«, sagte er. »Wenn
du
hier drinnen gesessen hättestund ich wäre draußen gewesen . . . ich hätte bestimmt nicht den Mut gehabt zu tun, was du getan hast. Ich wäre nicht auf die Idee gekommen, der Bevölkerungspolizei beizutreten. Und durch die Schächte zu kriechen! So eng, wie die sind. Das hätte ich nicht gekonnt. Du bist mutiger als ich.«
»Die Menschen zeigen ihren Mut auf verschiedene Weise«, meinte Trey. Der Gedanke war ihm gerade erst gekommen.
»Aber – warum hast du das gemacht?«, wollte Mark wissen. »Sei mir nicht böse, aber bisher kamst du mir vor wie der größte Feigling, der mir je über den Weg gelaufen ist. Warum hast du dich hier hereingeschmuggelt, um mich zu suchen?«
Trey dachte über Marks Frage nach.
»Ich bin mir nicht sicher«, gab er schließlich zur Antwort. »Vielleicht wollte ich einfach nicht allein zurückbleiben.«
Mark unterdrückte ein Lachen.
»Es gibt einfachere Möglichkeiten, um der Einsamkeit aus dem Weg zu gehen«, meinte er.
»Ich weiß nicht«, sagte Trey. »Mich lassen sie immer allein zurück. Mein Vater ist gestorben, meine Mutter hat mich verlassen, der Chauffeur ist ohne mich davongefahren. . . . Du warst der Erste, der mich nicht absichtlich zurückgelassen hat. Der Erste, der zurückkommen wollte. Also musste ich alles tun, um dich zu finden.«
Mark schien über seine Worte nachzudenken. Dann sagte er: »Warte mal. Wenn dein Vater gestorben ist, dann hat er das doch sicher nicht mit Absicht gemacht, oder?«
»Wohl nicht«, gab Trey zu. Dass er einen Herzschlag erlitten und daran gestorben war, konnte er seinem Vater schwerlich zum Vorwurf machen. Aber so leicht wollte er ihn nichtvon der Angel lassen. Er wollte nicht, dass Mark den Eindruck gewann, sein Vater sei ein toller Typ gewesen, der einfach zu früh gestorben war.
»Aber hör dir das mal an«, sagte Trey und der Zorn, den er ein ganzes Jahr lang unterdrückt hatte, kochte plötzlich hoch. »Mein Dad hat
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