Schattenkinder - im Zentrum der Macht
verfahren haben.«
Damit machte er auf dem Absatz kehrt und ging.
Trey blieb in seinem Versteck, bis er sicher war, dass der Officer die Treppe erklommen hatte. Dann streckte er den Kopf heraus.
»Wow, Mark, woher wusstest du, dass er darauf reinfällt?«, fragte er flüsternd.
»Es stand ihm ins Gesicht geschrieben, dass er furchtbar gern jemanden herumkommandieren will. Und dass er mich für einen absoluten Vollidioten hält. Ich habe mich daran erinnert, was du über Grammatik gesagt hast, und hab den Spieß einfach umgedreht – ich habe absichtlich ›nix‹ gesagt.«
»Ich weiß«, erwiderte Trey.
»Ich habe uns ein bisschen Luft verschafft, aber wie viel Zeit wir haben, weiß ich nicht. Wenn er bald zurückkommt, kann ich immer noch behaupten, dass jemand Pfeil und Bogen geklaut hat. Aber ich hoffe, so weit kommt es nicht – wie wär’s, wenn du mich jetzt hier herausholst?«
»Okay, okay«, murmelte Trey. Er schlüpfte hinter den Kisten hervor. Geblendet vom gleißenden Licht – und verängs tigt , weil er allen Blicken preisgegeben war – tastete er nach einer Art Riegel, um die Käfigtür zu öffnen.
Doch der Käfig hatte keinen Riegel. Er war mit einem dicken Vorhängeschloss gesichert.
»Mark – ich brauche einen Schlüssel«, stotterte Trey.
»Nein, brauchst du nicht«, beruhigte ihn Mark. »Bloß eine Zange oder einen Drahtschneider – oder ein Stück gebogenen Draht, mit dem sich das Schloss knacken lässt.«
»Wo soll ich das hernehmen?«, fragte Trey.
»Das hier ist doch ein Keller, oder nicht? Sieh dich um!«
Trey zog sich hinter seine Kisten zurück, weil er fand, dass er sich genauso gut verstecken konnte, während er dort nachsah. In der ersten Kiste befanden sich Tischdecken. In der Kiste daneben war Porzellan, eingewickelt in endlose Schichten aus dünnem, zerknittertem Papier.
»Trey?«, flüsterte Mark. »Danke, dass du gekommen bist, um mich herauszuholen. Ich hätte nie geglaubt, dass du so mutig bist. Ich habe gedacht, ich wäre ganz allein.«
»Noch habe ich dich nicht gerettet«, sagte Trey mit zusammengebissenen Zähnen. Er war bei der dritten Kiste, die weitere Tischdecken enthielt.
»Wie hast du es in den Keller geschafft?«, fragte Mark.
Leise und ohne die Suche zu unterbrechen berichtete ihm Trey. Mark gab einen leisen, anerkennenden Pfiff von sich.
»Du bist der Bevölkerungspolizei beigetreten?«, wiederholte er. »Und an
Aldous Krakenaur
vorbei durch die Luftschächte gekrochen? Dich hab ich wirklich völlig falsch eingeschätzt. Du bist der mutigste Junge, der mir je begegnet ist!«
Trey hatte keine Zeit, sich stolz in die Brust zu werfen. Er war bei der letzten Kiste angelangt. Sie war voller kostbarer Vasen.
Verzweifelt sah er sich um. Befanden sich sonst noch irgendwo Kisten im Keller? Müssten die Grants nicht irgendetwas
Nützliches
hier unten lagern?
Doch die Kisten und Marks Käfig waren die einzigen Gegenstände im ganzen Kellergeschoss.
Trey bemühte sich Mark seine Angst nicht zu zeigen. Er rüttelte am Schloss, als glaube er es mit bloßen Händen aufbrechen zu können. Mark bemerkte es.
»Oh«, sagte er und wandte den Kopf ab.
»Vielleicht –«, sagte Trey, doch er hatte keinen Plan, den er vorschlagen konnte.
In diesem Augenblick hörten sie erneut Schritte. Sekunden bevor der Officer um die Ecke bog, hechtete Trey hinter die Kisten.
»Du hattest keinen Hunger«, knurrte der Polizist. »Oder wie erklärst du das hier?«
Er hielt Mark etwas vor das Gesicht. Zunächst konnte Trey nicht erkennen, was es war, doch als er seine Position ein wenig veränderte und sehen konnte, was der Polizist in derHand hielt, unterdrückte er nur mit Mühe einen Schreckenslaut.
Es war der Proviantsack, den Mark vom Pick-up mitgenommen hatte. Der Rucksack, den er kurz vor seinem Versuch, durch den Stacheldraht zu klettern, abgelegt und den Trey später verbittert weggekickt hatte.
Der Sack mit den Essensvorräten.
»Was soll das heißen, ›Wie erklärst du das hier?‹«, fragte Mark. »Ich hab das Ding noch nie gesehen. Was soll das sein?«
Doch seine Stimme schwankte und er hatte mit der Antwort einen Moment zu lange gezögert. Es war nur allzu offensichtlich, dass er den Proviantsack sehr wohl schon einmal gesehen hatte. Und dass es sein eigener war.
Langsam zog der Officer die Schnur des Proviantsacks auf und begann den Inhalt herauszuholen: eine Schachtel Rosinen. Eine Packung Erdnüsse. Einen Apfel. Zwei Äpfel, drei. Kartoffeln. Bananen.
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