Schattenkinder - im Zentrum der Macht
Richtung Treppe.
Der Klang seiner Schritte dröhnte in Treys Ohren wie eine unheilvolle Verkündung. Jeder Schritt verringerte die Chance, Mark zu retten.
An welchem Punkt würde es ganz unmöglich werden?
Trey lauschte und rang mit sich. Als der Mann die unterste Treppenstufe erreichte, hielt er es nicht länger aus.
»Wie könnt ihr ›
liber ‹
als Kennwort benutzen, wenn ihr gar nicht an Freiheit glaubt?«, rief er. »Wie könnt ihr einfach so dastehen und einen unschuldigen Jungen sterben lassen?«
Der Mann machte auf dem Absatz kehrt und suchte mit der Taschenlampe den ganzen Keller ab.
»Wo bist du?«
Zum ersten Mal hörte Trey Unsicherheit in seiner Stimme – vielleicht sogar Angst.
»Sie wissen nicht, wo ich bin«, forderte er den Mann heraus.
Der Lichtstrahl verharrte auf dem Stapel Kisten, hinter dem Trey sich versteckt hielt.
»Sie wissen nicht, wie groß er ist«, fügte Mark hinzu. »Und Sie wissen nicht, wie viele noch hier unten sind. Und alle sind auf meiner Seite.«
Trey feuerte Mark innerlich an und musste über den Triumph in seiner Stimme grinsen. Mark klang so zuversichtlich, dass Trey fast versucht war sich nach den vermeintlichen Mitstreitern umzusehen. Doch schon kam die Angst: Was sollte er tun, wenn der Wachmann die Treppe hinaufging und mit einer Horde Bevölkerungspolizisten zurückkam?
Doch das tat er nicht. Er rührte sich überhaupt nicht.
»Pst«, sagte er. »Was wollt ihr?«
»Frei sein«, antwortete Trey, ehe Mark etwas sagen konnte.
»Und ihr glaubt,
das
durch den Keller des Hauptquartiers zu brüllen würde die Sache voranbringen?«, fragte der Mann.
»
Sie
hat es immerhin hierher gebracht, oder nicht?«, meinte Mark.
Der Wachmann leuchtete mit der Taschenlampe der Reihe nach die Kisten ab. War es nur Einbildung oder verharrte der Lichtstrahl ausgerechnet auf der Stelle am längsten, an der Trey sich versteckt hielt?
»Wenn du eine ganze Legion von Freunden hier unten hast, warum brauchst du dann mich?«, konterte der Mann.
Mark antwortete nicht und Trey fürchtete sich vor einer Antwort.
»Warum seid ihr hier?«, fragte der Mann. »Du und dein Freund?«
»Wir haben meinen Bruder gesucht«, sagte Mark.
Trey holte scharf Luft. An Marks Stelle hätte er die Frage nicht beantwortet.
»Ist dein Bruder ein neuer Rekrut?«, erkundigte sich der Wachmann.
»Nein«, sagte Mark. »Er war schon hier, bevor die Bevöl kerungspolizei das Haus übernahm. Haben Sie eine Ahnung, was mit ihm passiert ist?«
Jetzt wurde Trey schwindelig vor Angst. Vielleicht hyperventilierte er auch. »Verrate ihm nichts!«, hätte er Mark am liebsten zugerufen, »du könntest Lee damit umbringen!« Doch er brachte kein Wort heraus.
In diesem Augenblick tat der Wachmann etwas Unglaubliches. Er setzte sich auf die unterste Treppenstufe.
»Ich mache mir auch um jemanden Sorgen«, sagte er leise. »Vielleicht . . .«
»Vielleicht was?«, fragte Mark.
Der Mann schüttelte den Kopf.
»Ich kann dir nicht trauen«, sagte er.
»Ich werde in Kürze umgebracht«, sagte Mark. »Glauben Sie nicht, dass ich alles tun würde, um am Leben zu bleiben?«
Der Wächter gab ein kleines, amüsiertes Schnauben von sich, als habe Mark einen Witz gemacht.
»Das ist nicht das, was ich brauche. Ich brauche jemanden mit Prinzipien und Loyalität, selbst wenn es den Tod bedeutet«, sagte er. »Aber das spielt jetzt auch keine Rolle mehr. Ich brauche vieles, was unmöglich ist: Zugang zu geheimen Unterlagen, gefälschte Dokumente, einen Wagen.«
»Ich habe einen Wagen«, sagte Mark. »Einen Pritschenwagen, genauer gesagt.«
Der Wächter schnaubte wieder. Diesmal klang es ungläu big .
»Du sitzt in einem Käfig«, sagte er.
Trey musste sich anstrengen, um noch etwas zu hören, so sehr rauschte es in seinen Ohren. Er atmete definitiv zu schnell und kämpfte gegen das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Er musste nachdenken – genau nachdenken. Doch in seinem Kopf hörte er immer wieder die Worte des Wachmanns:
Du sitzt in einem Käfig . . . Du sitzt in einem Käfig . . .
»Aber
ich
nicht«, flüsterte er und stolperte hinter den Kisten hervor.
Erst handeln – dann nachdenken, schien sein neues Motto zu werden.
Ante cogitatum, factum
. Er stand auf wackligen Beinen, doch es gelang ihm, seine Stimme unter Kontrolle zu halten.
»Aber
ich
sitze nicht im Käfig«, sagte er laut und wartete darauf, dass der Lichtstrahl des Wachmanns ihn fand.
23. Kapitel
S ie schlossen einen Handel, Mark, Trey und der
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