Schattenkinder - im Zentrum der Macht
überhören. Trotzdem rannte er einfach zur Tür hinaus. Wie lange würde der Kommandant brauchen, um ihn einzuholen? Eine Minute? Zwei? Oder würde er sich die Zeit nehmen, über die Sprechanlage andere Wachleute herbeizurufen – Wachen, die ihn zusammenschlagen würden?
Trey versuchte diese Gedanken wegzuschieben.
Draußen zerrte der Fahrer aus Slahood bereits Treys Freunde und den Chauffeur von der Ladepritsche. Sie stolperten und fielen gegeneinander. Doch der Fahrer ließ ihnen nicht die Zeit, sich aufzurichten, sondern zog so lange an ihren Ketten, bis sie alle auf einem Haufen auf dem Boden lagen.
Keiner von ihnen gab auch nur einen Laut von sich.
»Wer unterschreibt mir für dieses Gesindel?«, fragte der Bevölkerungspolizist.
»Ich«, antwortete Trey und griff nach Klemmbrett und Stift, die der Mann ihm entgegenhielt. Mit seiner unleserlichsten Handschrift setzte er eine Unterschrift unten auf die Papiere.
»Alles klar«, sagte der Mann, stieg in den Lastwagen und fuhr davon.
Er sollte davonrennen und so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den Kommandanten bringen, jede verbleibende Sekunde nutzen, um sich zu retten, das wusste Trey. Doch die Zeit schien einfach stehen zu bleiben, während er dastand und auf seine Freunde hinabsah, die wie tot zu seinen Füßen lagen und nicht den kleinsten Versuch unternahmen, sich aufzurappeln. Er war nicht sicher, ob sie ihn über haupt erkannten.
»Jetzt ist alles gut«, hätte er gern zu ihnen gesagt. »Ich werde euch retten.« Doch das wäre eine Lüge gewesen – ihm blieb nicht die geringste Chance für eine Rettungsaktion. Andererseits hätte er gern ein paar Fragen gestellt: »Warum habt ihr mich im Stich gelassen? Warum seid ihr zum Haus der Grants zurückgefahren? Warum seid ihr nicht gekommen und habt mich geholt?«
Doch es war zu spät für Fragen. Der Kommandant kam aus seinem Büro gestürmt und brüllte: »Übergeben Sie mir auf der Stelle das Fax!«
Im gleichen Augenblick fuhr Nedley, der Wachmann, der Mark fortgebracht hatte, mit Marks zerbeultem Pick-up wieder vor. Mark saß auf dem Beifahrersitz und wirkte erschöpft, aber – zumindest für den Augenblick – eindeutig am Leben. Auch bei diesem Wagen lag hinten auf der Ladeflächeein Mensch; Trey konnte nicht erkennen, ob er tot oder lebendig war.
Das muss der Gefangene sein, für den Jonas Sabin sein Leben aufs Spiel gesetzt hat. Ich frage mich, warum er Sabin so wichtig war?
, überlegte Trey bedrückt. Wahrscheinlich würde keine seiner Fragen je beantwortet werden. Er würde sterben und sich immer noch fragen, warum das alles geschehen war und was sein ganzer Mut nun gebracht hatte.
Nedley stellte den Wagen ab und sprang heraus.
»Steh nicht herum – hilf mir beim Aufladen«, zischte er Trey zu.
Trey sah von Nedley zum Kommandanten, der auf ihn zugeeilt kam. Es war nicht so, dass er wirklich eine Entscheidung traf. Er hatte immer noch keine Hoffnung zu entkommen, aber warum sollte er seinem Schicksal eher ins Auge sehen als nötig?
Trey stopfte das Bündel Faxpapiere in seine Jackentasche. Dann hievte er mit Nedleys Hilfe Nina, Lee, Joel, John und den Chauffeur auf die Ladepritsche. Aus den Augenwinkeln sah er den Kommandanten, der mit zwei Wachmännern im Schlepptau wütend herangeschnauft kam.
Natürlich. Er würde nie etwas so Würdeloses tun und sich Trey selbst schnappen. Jemand anderes musste die Drecksarbeit für ihn erledigen.
»Und du steigst auch ein«, flüsterte Nedley Trey zu.
»Hä?«, sagte Trey.
Zur Antwort gab Nedley ihm einen Stoß, der ihn auf die offene Ladefläche beförderte. Nedley selbst fiel oder kletterte mehr oder weniger auf ihn drauf.
»Halt! Moment! Meine Hand ist in der Kette eingeklemmt!«, schrie Nedley laut.
Wie auf ein Stichwort ruckte der Wagen plötzlich vorwärts. Trey klammerte sich wild an die Ketten, um nicht hinten herunterzufallen. Nedley zerrte die Ladeklappe hoch und sperrte sie damit alle auf die Ladefläche. Der Pick-up rollte weiter und nahm Fahrt auf.
»Hilfe! Der Gefangene – wir werden entführt! Anhalten! Nicht schießen – ich schnapp ihn mir!« Nedley richtete sich auf der Ladepritsche auf, kletterte über Lee, Nina und die anderen und arbeitete sich schwankend zum Fahrerhaus vor.
Trey verstand nicht ganz, was vor sich ging. Auf welcher Seite stand Nedley? Nur für alle Fälle warf sich Trey auf ihn, stieß ihn zur Seite und sprang dann mit einem Hechtsprung durch das offene Rückfenster ins Fahrerhaus des
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