Schattenkrieg
mich für das Vertrauen, das Häuptling Nerin und Fürst Ronan in mich setzen.« Seine Stimme war leise und sanft, hatte fast etwas Mädchenhaftes. »Ich werde die Würde annehmen, falls der Rat beschließen sollte, sie mir anzubieten.« Damit setzte er sich wieder und überließ den Rat seinen Diskussionen.
»Niemand will eine Spinne zum Heerführer machen!«, rief Grear MacRoberts.
»Besser als
noch
ein MacRoberts!«, gab der Ire Dempsey zurück.
»Weg mit dem Giftmischer!«, schrie jemand anders.
Keelin wollte schon selbst etwas auf diesen Giftmischerkommentar hin sagen, als Brynndrech plötzlich aufstand und nach draußen ging. In der Hitze des Streits fand dies kaum Beachtung. Keelin zögerte kurz, stellte fest, dass Häuptling Grear in eine heftige Diskussion mit seinem Nachbarn vertieft war, und schlich dem Waliser nach.
Zurück an der frischen Luft, atmete sie tief durch. Der Gedanke an eine Zigarette beschlich sie, doch das war hier in der Innenwelt nicht möglich. Stattdessen sah sie sich nach dem jungen Druiden um. Seine massige, bucklige Gestalt verschwand durch das Burgtor.
»Brynndrech!«, rief sie und lief ihm hinterher. »Warte!«
Er blieb stehen, drehte sich jedoch nicht zu ihr um. Stattdessen sah sie, wie er sich mit dem Hemdsärmel über das Gesicht fuhr.
Weint er?
fragte Keelin sich und lief langsamer, um ihm einen Moment Zeit zu geben.
»Brynndrech, alles in Ordnung?«
Er zuckte nur mit den Schultern, noch immer ohne sich ihr zuzuwenden.
Was ist bloß los mit ihm?
fragte sie sich.
Und was ist bloß los mit
dir
? Du bist eine Einzelgängerin und kannst Männer nicht ausstehen … warum kümmert es dich auf einmal, wie es diesem Jungen geht?
Keelin wusste keine Antwort darauf. Stattdessen beobachtete sie sich, wie sie Brynndrech den Arm auf die Schulter legte. »Siehmich an«, meinte sie in beruhigendem Tonfall, »was ist es, was dich da drinnen so fertigmacht?«
Langsam drehte er sich zu ihr. Seine kleinen, von Bart und Dreadlocks umrahmten Augen hielten nur kurz ihrem Blick stand, dann sahen sie wieder zu Boden. Sie waren gerötet. Er hatte tatsächlich geweint.
»Hmm?«, murmelte sie auffordernd.
Er zuckte wieder mit den Schultern. »Es ist so … idiotisch! So … so
dumm
!« Er schüttelte den Kopf, sprach leise weiter: »Vielleicht bin ich noch nicht lange Druide und auch nicht sonderlich alt, aber Grear hat mich in seine Sippe aufgenommen und mir viel beigebracht. Ich bin oft dabei gewesen, wenn er sich mit anderen Häuptlingen getroffen hat. Es ist immer dasselbe! Sobald sie von zwei verschiedenen Stämmen sind, beginnt das Gestreite! Die haben doch alle aus den Augen verloren, worum es denn eigentlich geht!« Seine Stimme nahm einen ärgerlichen Tonfall an. »Ha, und ich habe geglaubt, hier in Norwegen ist es anders, hier haben sie einen
Rat
. Ich habe gedacht, dass sich da die klügsten Druiden des Landes treffen und beschließen, was das
Beste
ist für alle.« Er schüttelte wieder den Kopf. »Und jetzt dieses Geschwätz und diese kleinlichen Diskussionen!« Seine Stimme ahmte Kinderstimmen nach: »›Ich will Anführer sein!‹ – ›Nein, ich will Anführer sein!‹ – ›Nein, geht nicht, du bist zu blöd!‹ – ›Nein,
du
bist blöd!‹ – ›Du bist aber viel blöder als ich!‹ Schau dir diesen Casey an! Eitel, berechnend und machtgierig! Der ist doch das beste Beispiel!« Er holte Luft, seufzte dann tief. »Es ist hier genau das Gleiche. Weißt du, Keelin, manchmal denke ich mir, dass die Germanen vielleicht besser gewonnen hätten.«
»WAS?«, entfuhr es Keelin, die
darauf
wirklich nicht gefasst war.
»Ich meine, also, wenn –«, versuchte sich Brynndrech zu rechtfertigen und versprach sich sogleich, »also, ich … ich meine, für die
Innenwelt
wäre es vielleicht besser gewesen, für
uns
natürlich nicht!« Sein Kopf zog sich wieder in den Schutz seines Buckels zurück.
Wie eine Schildkröte,
fand Keelin.
Sie wollte ihm schon entgegnen, dass die Germanen versucht hatten,
Völkermord
an den europäischen Stämmen zu begehen, bis ihr einfiel, dass sich Kelten und Slawen in ihrer Rache auch nicht zurückgehalten hatten. Keelin war trotzdem nicht bereit, zu vergessen, dass die Germanen damit angefangen hatten!
Sie bemerkte, dass das Stimmengewirr, das aus der Halle zu ihnen drang, abgenommen hatte. »Sieht aus, als ob sie sich wieder beruhigt haben«, meinte sie. »Sollen wir wieder reingehen?«
Brynndrech nickte zögerlich. Gemeinsam gingen sie zurück
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