Schattenkrieg
überzeugt. Und das bedeutete, dass Casey auch sie selbst manipulierte. Heiße Wut stieg in ihr empor und versuchte, sich Gehör zu verschaffen.
Wut und …
Stimmen
!
Keelin erschrak, als sie das Flüstern hörte und erkannte, dass es nicht von außen, sondern von innen kam. Der Überfall kam plötzlich und unerwartet. Sie versuchte vergeblich, nicht hinzuhören.
Er hat versucht, dich zu verzaubern! wisperte eine Stimme.
Sei still!
wehrte sich Keelin.
Er hat versucht, in deine Gedanken einzudringen! sagte eine andere. In dein tiefstes Innerstes!
Lass mich in Ruhe!
schrie sie in Gedanken. Doch es waren zu viele, und ihr eigenes Ich stand ihnen ganz alleine gegenüber.
Er hat dich angegriffen!
Er wollte dich dominieren!
Er hätte keine Rücksicht auf deinen Willen genommen!
Dann schob sich eine Stimme in den Vordergrund. Sie schrie nicht wie die anderen, sondern triefte vor Häme und Spott. Keelin war unfähig, ihre Worte auszublenden.
Dir ist so etwas schon einmal passiert, Keelin.
Sie erstarrte.
Du erinnerst dich. Du erinnerst dich daran, wie es war, ein Spielball in den Händen eines Mannes gewesen zu sein. Hat dir das gefallen, Keelin?
Heftige Wut flammte in ihr auf, schnell und heiß wie ein Schneidbrenner. Ihr Panzer aus Willenskraft und Selbstbeherrschung verglühte in seiner Flamme.
Ihre Ahnen spürten ihre Schwäche.
Töte ihn! befahl die Stimme.
Töte ihn! echoten tausend andere.
Ein roter Schleier fiel über sie.
RONAN
nahe Kleive am Romsdalsfjord, Norwegen
Freitag, 08. Januar 1999
Die Außenwelt
Es war kurz nach eins, mitten in der Nacht. Der Regen draußen war so stark, dass man die Bäume am Straßenrand nur noch erahnen konnte. Die Lichter im Bus waren abgedimmt oder ausgefallen. Das monotone Brummen des Motors und das beständige Regentrommeln auf dem Dach machten müde. Tageszeit und Dauer der Fahrt taten ein Übriges.
Ronan hatte seinen Kopf an die kalte Fensterscheibe gelehnt und versuchte erfolglos einzuschlafen. Zu viele Dinge gingen in seinem Kopf herum. Zu viele Dinge hatten sich innerhalb kürzester Zeit verändert. Der Tod seines Bruders war nur der Anfang einer Serie von Ereignissen, die sein Leben in Chaos zu stürzen drohte.
Er hatte seine Ehre verloren. Selbst wenn niemals ans Tageslicht kommen würde, was Julius und er auf ihrer Reise für Machenschaften getrieben hatten, so hatte ihm doch die Rede dieser jungen Schottin die Augen geöffnet. Zwar hatte sie nicht
ihn
angeprangert, o nein, sondern Casey MacRoberts, doch als sie gesprochen hatte, hatte jedes Wort in seiner Seele gebrannt. Sie hätte genauso gut ihn meinen können.
Das Mädchen hatte ihn beeindruckt. Sie war in der Außenwelt geboren, war das erste Mal auf einer Ratsversammlung – und hatte es nicht nur geschafft, Caseys verführerischen Druidenkräften zu entgehen, sondern hatte auch noch den Mut gefunden, ihn vor der gesamten Versammlung bloßzustellen, mit einer solch beeindruckenden Wut und Leidenschaft – gegen einen Mann, der nicht nurJahrzehnte älter und erfahrener war als sie, sondern auch noch ein Häuptling ihres eigenen Stammes!
Sie war gehört worden. Und
wie
sie gehört worden war! Es wäre beinahe zu Blutvergießen gekommen, und das in der Ratshalle! Avernix, der gallische Häuptling, hatte zu seinem Dolch gegriffen, und einige Fürsten weiter abwärts am Tisch waren seinem Beispiel gefolgt, manche, um ihm zur Seite zu springen, andere, um Casey zu verteidigen. Wenn Medredydd, Häuptling der Waliser, den Gallier nicht zurückgehalten hätte, hätte die Versammlung möglicherweise in Blutvergießen geendet! Casey war mit Schimpf und Schande aus seiner eigenen Ratshalle gejagt worden, und der Rat hatte Cintorix mit großer Mehrheit zum Anführer der Armee gewählt.
Ronan machte sich nichts vor: Caseys Schicksal hätte auch
ihm
blühen können, wenn Julius’ Tricks aufgeflogen wären. Noch vor anderthalb Monaten war Ronan ein angesehener, anständiger und solider Mann gewesen, doch nun hatte er sich, ohne es zu wollen, in üble Verwicklungen verstrickt.
Er schloss wieder die Augen. Gerade hatte er draußen das Dörfchen Kleive angeschrieben gesehen, das an einem Ausläufer des Romsdalsfjordes lag. Dem
falschen
Ausläufer. Er musste noch weiter bis Åndalsnes, dem Ort, dem Kêr Bagbeg in der Außenwelt entsprach. Dort musste er ins Sichere Haus, um sich von einem der Sympathisanten zum Fuße des Gridsetskolten fahren lassen, dann zu der Pforte hinaufsteigen, in die
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