Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenkrieg

Schattenkrieg

Titel: Schattenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Saumweber
Vom Netzwerk:
sie selbst. Veronika spürte die Gelegenheit, genau
jetzt
die Beine in die Hand zu nehmen und davonzulaufen; doch wo sollte sie hin, psychisch krank, mit gefesselten Händen und dem Verdacht im Hinterkopf, dass sie dort am besten aufgehoben war, wo man sie nun hinbrachte? Sie blieb sitzen und wartete ab.
    Draußen klappte der Fahrer die Ladeklappe herunter, während Koralicz die Plane nach oben zog. Schenk griff Veronika unter die Schulter und zerrte sie unsanft auf die Beine. Immerhin half ihr der Fahrer, ein Gefreiter namens Paulus, von der Ladefläche herunterzusteigen.
    Sie befanden sich auf einem kleinen Parkplatz, der auf drei von vier Seiten von mehrstöckigen grauen Gebäuden flankiert wurde. Die meisten der Autos, die hier parkten, waren klein und schäbig. Viele hatten Berliner oder Potsdamer Kennzeichen.
    Die Soldaten führten sie zu einem Hintereingang und dort durch ein Labyrinth aus schlecht beleuchteten, zugigen Gängen. Menschen eilten hastig über die Flure, meist mit Papierstapeln oder Mappen in den Händen und gehetztem Blick in den Augen. Hinter geschlossenen Bürotüren klingelten beständig Telefone, und mehr als nur einmal klang es so, als ob eine lautstarke Diskussion oder gar ein Streit im Gange wäre.
    Schließlich erreichten sie einen kleinen Wartesaal. Der Raum war maßlos überfüllt; neben etlichen Zivilisten befanden sich einige Polizisten und sogar ein paar andere Feldjäger hier. Schenk bugsierte sie eine enge Sitzreihe hindurch und drückte sie auf einen leeren Platz. Er zückte ein zweites Paar Handschellen und klemmte sie damit an die Metallstrebe fest, auf der die einzelnen Sitze befestigt waren. Dann zog er sich zurück zu seinen Männern.
    Veronika ließ sich seufzend gegen die Lehne sinken und ließ den Blick im Raum umherschweifen. Was sie sah, war ziemlichernüchternd. Die meisten der Anwesenden waren heruntergekommen und schmutzig, hatten wirres Haar und wild wuchernde Bärte. Der Mann neben ihr stank fürchterlich nach Alkohol. Ihr gegenüber, auf der anderen Seite des Saals, saß ein gelockter Junge vornübergesunken, mit einem langen Speichelfaden am Mundwinkel. Viele der Leute hatten Spuren von frischen und alten Verletzungen im Gesicht, Spuren des nicht gerade zimperlichen Umgangs der Polizei bei Gefangennahmen und Verhören. Je länger Veronika sich umsah, desto mehr bestätigte sich ihr anfängliches Gefühl, nun ebenfalls zu diesem … Abschaum? – Hätte sie früher Abschaum gesagt? – … zu diesem
Menschenschlag
zu gehören. Ihre Kleidung war genauso verdreckt wie die vieler anderer hier, man hatte sie verprügelt, und von ihrem Sturz hatte sie vermutlich noch Blut im Gesicht.
    Wie schnell man doch sinken kann …
Veronika spürte die Verzweiflung, die in ihrem Hinterkopf lauerte.
    »Frau Leutnant?«
    Veronika sah auf. Sie kannte die Stimme nicht, sie gehörte keinem der Soldaten, die sie begleiteten.
    »Leutnant Wagner, Veronika Wagner? Sind Sie das?« Der Mann, der das fragte, war gerade durch einen Seitenkorridor hereingekommen, trug Jeans und eine Lederjacke. Vor seinem ausladenden Bauch baumelte eine Kamera.
    Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie sich Brenner anspannte und zu seiner Waffe griff. Sie warf ihm einen verwirrten Blick zu, sah dann zurück zu dem Mann, der sie angesprochen hatte.
    »Sie sind doch Frau Leutnant Veronika Wagner, habe ich recht?« Der Mann begann, seine Kamera auszupacken.
    Sie sah noch einmal zurück zu ihren Bewachern.
NEIN!
formten die Lippen des Unteroffiziers. Veronika schüttelte den Kopf und blickte zu Boden.
    Doch der Mann ließ sich nicht mehr täuschen. Er hatte die Kamera schon in der Hand und begann zu knipsen. Durch ihr strähniges Haar hindurch sah Veronika, wie sich die Feldjäger von demDurchgang lösten, an dem sie sich mit ihren Kollegen unterhalten hatten, und sich auf den Mann stürzten.
    »Raus hier!«, knurrte Schenk und packte ihn am Kragen. »Sie haben hier nichts zu suchen.«
    »He! Lassen Sie mich in Ruhe!« Der Fotograf versuchte, sich gegen die Soldaten zu wehren, doch er hatte keine Chance. Der Obergefreite kam von hinten und drehte dem Mann unsanft den Arm auf den Rücken. »Was ist mit der Pressefreiheit?«, rief der Fotograf, bevor er einen Schmerzensschrei ausstieß, als Schenk den Arm noch ein bisschen strammer zog.
    Die Feldjäger führten ihn nach draußen. Und falls Veronika jetzt noch Zweifel gehabt hätte, dass das Recht auf Freiheit der Presse tatsächlich nicht das Papier wert war, auf das

Weitere Kostenlose Bücher