Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenkuss

Schattenkuss

Titel: Schattenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
Vom Netzwerk:
heruntergefallen war?
    Mit einem Ruck zog sie die Tür knarrend ins Schloss. Dann ging sie vorbei.
    Florian erstarrte. Er saß in der Falle. Wenn er jetzt ging, würde sie das Quietschen der Tür hören. Besser, er wartete, bis sie wieder unten bei der Wäsche war.
    Es dauerte nicht lange, dann hörte er ihre Schritte wieder auf dem Flur. Sie blieb stehen. Eine Tür wurde zugeschlagen. Ging sie ins Bad? Da – wieder Schritte. Vor ihrem Zimmer hielten sie an. Die Klinke wurde heruntergedrückt. Oma trat ein. Sie konnte ihn nicht sehen. Mit einem energischen Ruck schloss sie die Tür und Florian stand vor ihr. Die Tür, die er hatte schlagen hören, war die des Waffenschranks gewesen. In der Hand hielt Oma Opas Jagdgewehr. Sie schien über seinen Anblick nicht sonderlich überrascht zu sein.
    »Ach, du bist der Einbrecher. Sieh mal einer an.« Mit kalten Augen musterte sie ihn. »Was machst du hier? Du Nichtsnutz!«
    »Nichts. Das heißt, ich habe ein Geräusch gehört und nachgesehen.« Die Waffe war geladen. Das erkannte er am gespannten Hahn. Drehte Oma jetzt durch?
    »Ein Geräusch. Aha.« Ihr Blick glitt durchs Zimmer und jetzt sah er, dass die Tempoliste noch auf dem Couchtisch lag. Fieberhaft suchte er nach einer Idee, wie er sie an sich bringen könnte, ohne ihre Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Doch zu spät. Sie hatte die Liste bereits entdeckt, trat näher und starrte einen Moment lang darauf. Dann wirbelte sie mit erstaunlicher Schnelligkeit herum. In einer fließenden Bewegung riss sie das Gewehr hoch, brachte es in Anschlag. Ihr Gesicht war kalkweiß, die Unterlippe zitterte leicht. Im Gegensatz zu ihrem Arm, der ganz ruhig war. »So einer bist du also. Hast dich von diesem Flittchen anstiften lassen. Aber das wird dir noch leidtun. Los. Marsch.«
    Hass funkelte in ihren Augen und noch etwas anderes, das Florian im Moment nicht benennen konnte, das ihm aber Angst machte.
    »He, Oma, was soll das denn? Spinnst du?«
    »Marsch, habe ich gesagt!« Ihr Ton war kalt wie Gletschereis und ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie es ernst meinte. Florian erkannte, dass er im Moment keine andere Wahl hatte. Besser, er tat erst einmal, was sie verlangte. Eine Möglichkeit abzuhauen würde sich schon finden. Mit dem Gewehr dirigierte sie ihn zur Tür, Richtung Treppe. Was hatte sie vor? Weshalb bezeichnete sie Lena als Flittchen? Langsam stieg eine lähmende Angst in Florian auf, als ihm klar wurde, dass Lena voll ins Schwarze getroffen hatte.
    »Du bist genauso viel wert, wie deine nichtsnutzige Mutter, das Luder. Einen Dreck. Abtreiben hätte sie dich sollen. Das wäre das Beste gewesen. Aber was macht mein Herr Sohn? Heiratet das Miststück.« Mit dem Gewehr im Anschlag bugsierte Oma ihn durch die Hintertür in den Garten. »Da entlang!« Sie wies Richtung Schuppen.
    Florian sah sich um. Die Terrasse nebenan war verlassen. Lena war weg und auch ihre Eltern konnte er nirgends sehen. Keine Menschenseele weit und breit. Sollte er um Hilfe rufen? Doch das kam ihm albern vor und außerdem war Oma durchaus zuzutrauen, dass sie abdrücken würde. Sie konnte mit dem Gewehr umgehen, war früher regelmäßig mit ihrem Vater auf die Jagd gegangen. Und selbst wenn sie die Waffe nicht beherrscht hätte, bei dieser geringen Distanz würde sie nicht einmal eine Maus verfehlen.
    »Was hast du mit Ulrike gemacht? Hast du sie erschossen?« Die Frage war raus, kaum dass er sie gedacht hatte. Doch seine Oma ließ sich nicht provozieren. Wortlos drängte sie ihn weiter zum Schuppen. »Willst du mich auch erschießen? Deinen eigenen Enkel?«
    »Ein schöner Enkel bist du.« Sie schnaubte verächtlich. »Spionierst deine Familie aus, arbeitest gegen sie. Aber nun ist Schluss damit. Los, rein mit dir!« Sie öffnete die Schuppentür und stieß ihn hinein.

32
    Ein Streichholz flammte auf. Benno zündete die Kerzen an und holte Gläser und eine Flasche Rotwein aus einem Versteck hinter einem losen Brett. Allmählich wurde es dämmrig, das Licht ganz silbern. Nachdem er die Flasche geöffnet und eingeschenkt hatte, setzte er sich wieder neben Lena und reichte ihr ein Glas. Sie stießen an. Seine Augen waren so blaugrau wie der Himmel in dem Gemälde von Caspar David Friedrich, das sie kurz vor den Ferien im Kunstkurs besprochen hatten. Wanderer über dem Nebelmeer. Es zeigte einen Mann auf einem Berggipfel. Unter ihm ballte sich der Nebel, über ihm dehnte sich ein Himmel voller Wolken. Einsam und verloren stand er dort. Und diese

Weitere Kostenlose Bücher