Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenkuss

Schattenkuss

Titel: Schattenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
Vom Netzwerk:
so liebevoll und so voller Verständnis. Er hatte ihr als Einziger in der letzten Zeit wirklich zugehört und sie ernst genommen. Hatte sie spüren lassen, dass sie begehrenswert war – trotz ihrer Narbe. Und er war der erste Mann, der sie geküsst hatte. Irgendwie hatte er sie mit sich selbst versöhnt. Eine warme Welle der Zuneigung erfasste Lena und sie legte ihren Kopf an seine Schulter.
    Gemeinsam schwiegen sie, so aneinandergelehnt.
    Das Zwitschern der Vögel im Garten drang durch die geborstenen Fenster herein. Die tief stehende Sonne malte Lichtflecke an den bröckelnden Verputz der Wände und auf die Dielenbretter des verrottenden Wintergartens der alten Villa.
    Die Ereignisse des Nachmittags gingen Lena durch den Kopf. Die Uroma mit dem Koffer auf der Suche nach dem Bahnsteig. Die Erkenntnis, wie unsinnig es war, ihr die abs­truse Situation erklären zu wollen. Und dann fiel es Lena wieder ein. Was machst du hier? Du bist doch tot. Babette hat gesagt, das ist ein Geheimnis.
    Mit einem Ruck richtete sie sich auf.
    Auch Benno schreckte aus seinen Gedanken hoch. »Was ist, Liebes?«
    »Eure Uroma war heute bei mir. Sie wollte wieder einmal verreisen und hat mich mit Ulrike verwechselt. Sie fragte, was ich hier mache, ich sei doch tot. Und dann hat sie noch behauptet, das sei ein Geheimnis. Babettes Geheimnis. Was hat deine Mutter mit Ulrikes Verschwinden zu tun?«
    Benno schloss die Augen, legte die gefalteten Hände vors Gesicht, als müsse er sich sammeln. Dann atmete er durch, ließ die Hände sinken und blickte Lena an. »Unsere Uroma leidet an einer Demenz. Sie würfelt alles durchei­nander. Fernsehfilme und das richtige Leben. Wahrscheinlich hat sie einen Krimi gesehen, in dem es um ein verschwundenes Mädchen geht, und sicher hat sie mitbekommen, dass du hinter der davongelaufenen Ulrike herspionierst. Und nun macht sie aus zwei Geschichten eine.« Erneut atmete er durch. »Lena! Bitte! Lass das Thema endlich ruhen.«

31
    Das Album lag auf dem Fensterbrett. Durch die Scheibe beobachtete Florian seine Oma. Sie zerrte die Uroma schimpfend hinter sich her zum Haus.
    Er musste sich beeilen. Hastig blätterte er weiter durch die Seiten. Lissabon, Mai 2005. Wieder eine Reise des Pfarrgemeinderats.
    Das Quietschen der Hintertür drang durchs Treppenhaus. Seine Uroma schrie: »Josef, hilf mir! Hilf mir doch!«
    »Der hilft dir nicht mehr. Der ist seit zehn Jahren tot. Jetzt komm! Du gehörst ins Bett!« Krachend fiel die Tür ins Schloss. Gleich würden die beiden die Treppe heraufkommen.
    Florian schlug das Album zu und klemmte es sich unter den Arm, bereit, es in sein Zimmer mitzunehmen. Doch im selben Moment klingelte es unten. Wer immer das war, er kam wie gerufen. Die Haustür wurde geöffnet und ein Mann, der sehr aufgebracht schien, fragte nach Benno.
    Während sich unten ein Gespräch entspann, legte Florian das Album wieder auf den Tisch und wendete eilig Seite um Seite. Da. Barcelona. Wieder war Oma mit ihrer Cousine unterwegs gewesen. Er erinnerte sich. Eine Busreise durch Spanien. Er nahm eines der Bilder heraus. Die Kamera hatte das Datum eingeblendet: 14. August 2008. Bingo! Treffer! Versenkt! Florian hakte den letzten Punkt auf der Liste ab.
    Unten war es inzwischen ruhig geworden. Auf der Treppe waren Schritte zu hören. Mit fliegenden Fingern steckte Florian das Bild zurück in die Fotoecken. Seine Hände zitterten. Endlich. Geschafft. Er schlug das Album zu und wollte es zurück ins Regal stellen, doch es glitt ihm aus den Händen. Mit einem dumpfen Knall schlug es auf dem Dielenboden auf. Verdammt! Wie angewurzelt blieb er stehen. Die Schritte erklangen nun im Flur. Zu spät. Er konnte den Raum nicht mehr verlassen, ohne von Oma dabei erwischt zu werden. Er musste warten, bis sie mit der Uroma in deren Zimmer verschwunden war. Doch auf dem Weg dorthin würde sie an der Tür zu ihren Räumen vorbeikommen und die stand offen. Sie würde ihn sehen. Leise hob er das Album auf, schob es lautlos ins Regal und glitt hinter die Tür.
    Die Schritte kamen näher. Die Uroma weinte. »Lass mich los. Lass mich los. Der Josef. Er wartet doch auf mich.«
    »Auf dich wartet niemand. Nur der Tod. Du verrücktes Weib.« Die beiden mussten nun unmittelbar vor der Tür stehen, hinter der Florian den Atem anhielt. Durch den schmalen Spalt zwischen Türstock und Türblatt sah er seine Oma in ihr Zimmer starren. Der Moment dehnte sich zu Sekunden. Sein Herz klopfte bis zum Hals. Hatte sie gehört, wie das Album

Weitere Kostenlose Bücher