Schattenkuss
Einsamkeit spiegelte sich in Bennos Augen. Er führte das falsche Leben.
Er hatte sein Glas schon geleert und stellte es auf den Dielenboden, während sie an ihrem gerade mal genippt hatte. Benno nahm es ihr ab, platzierte es neben seinem. Zärtlich sah er sie an, strich mit dem Daumen über ihre Stirn. »Einen Kuss für deine Gedanken.«
Sie überlegte, wie offen sie sein sollte. »Ehrlich?«
»Natürlich.« Er legte seinen Arm um ihre Schulter.
»Ich habe gerade gedacht, wie traurig es ist, dass du ein so einsamer Mensch bist. Und das inmitten deiner Familie.«
Mit dem Zeigefinger begann er, die Form ihrer Lippen nachzuzeichnen. In seinen Augen schimmerte es wie ein Sonnenstrahl, der durch den Nebel brach. »Ich bin daran gewöhnt. Schon immer. Nur einmal …« Sein Finger blieb auf ihrer Unterlippe liegen. »Du bist einfach wunderbar. Wie ein Traum. Ich habe dich gar nicht verdient.« Sein Gesicht kam näher. Sie küssten sich. Langsam und zärtlich.
Benno ließ sich auf die Polster fallen und zog Lena mit sich. Nun lagen sie nebeneinander, ihre Gesichter ganz nah. Sein Blick wirkte warm und glücklich. Wieder küssten sie sich. Draußen versank die Sonne langsam hinter dem Wald. Der Schein der Kerzen flackerte im Luftzug, der durch den Raum zog.
Seine Lippen wanderten über ihren Hals bis zu der kleinen Kuhle zwischen den Schlüsselbeinen. Ihr ganzer Körper begann zu kribbeln. Ein leises Stöhnen entfuhr Lena. Bennos Hand glitt über ihre Bluse bis zu den Knöpfen und löste sie. Warm spürte sie seine Finger auf ihrer Haut. Sie schoben sich in den BH. Sein Mund wanderte hinauf zum Ohr. »Ich liebe dich. Habe ich dir das schon mal gesagt?« Seine Stimme klang heiser. Er zog seine Hand zurück. Lena war irgendwie froh darüber. Sie wollte und sie wollte nicht, fühlte sich wieder überrumpelt. Darauf war sie immer noch nicht vorbereitet. Sie nahm die Pille nicht und ob er … sie konnte ihn doch nicht fragen, ob er Kondome … wenn sie nun schwanger würde! Gut, dass er seine Hand zurückgezogen hatte, denn sonst … Doch da war sie wieder, glitt über ihren Bauch bis zum Bund der Shorts, löste den Gürtel, öffnete den Knopf.
Sie erstarrte und setzte sich auf. »Benno. Sorry. Aber das geht mir zu schnell.«
Er hob den Kopf. »Entschuldige.«
»Ich bin noch nicht … ich will halt einfach noch nicht. Verstehst du das?«
Im Zwielicht konnte sie seine Augen nicht richtig sehen. Der helle Schimmer, der ihr vorhin wie ein Sonnenstrahl erschienen war, war verschwunden. Nun wirkten sie dunkel, blaugrau bleiern, als ob ein Unwetter in ihnen heraufzog. Lena schüttelte den Kopf. Blöder Gedanke.
»Natürlich verstehe ich dich. Ich habe doch schon gesagt, dass es mir leidtut.« Eine Spur von Ungeduld schwang in diesen Worten mit. Sie hatte ihn mit ihrer Zurückweisung erneut gekränkt. Lena stand auf, knöpfte die Bluse zu und schloss den Gürtel. Sie wusste auch nicht, weshalb, aber sie wollte heim. »Ich glaube, ich sollte besser gehen.«
Benno fuhr sich über die Augen. »Vermutlich ist das vernünftig.« Er stand auf und nahm sie in den Arm. »Aber es wäre unvernünftig, alleine zu gehen. Ich fahre dich natürlich.« Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
»Okay.« Zu Hause wartete Ärger mit Tom und Steffi. Aber der würde sich nicht von allein in Luft auflösen. Sie musste das hinter sich bringen. Was sollte sie ihren Eltern sagen? Ich liebe ihn und werde ihn nie verlassen. Wie in einem Kitschfilm. Aber sie liebte ihn nicht, war nur in ihn verliebt – oder vielleicht war es nicht einmal das, vielleicht war es einfach nur das aufregende Gefühl gewesen, für einen Mann etwas ganz Besonderes zu sein. Und irgendwie tat er ihr auch leid und plötzlich wusste sie, dass genau in diesem Moment alles vorbei war. Als ob ihre Verliebtheit mit dem Abendwind aus diesem Raum hinaus in den verwilderten Garten geweht würde und sich in der einbrechenden Nacht verflüchtigte. Sie pustete die Kerzen aus. »Fahren wir?«
Benno griff nach seinem Sakko und zog den Autoschlüssel hervor. »Wenn du unbedingt willst.«
Sie nickte entschlossen und ging voran. Die Polster und Gläser, die Flasche und die Kerzen würden im Laufe der Zeit Staub ansetzen, Spinnweben würden sie bald umranken. Lena wusste, dass sie nie wieder hierherkommen würde.
Hand in Hand trat sie mit Benno aus dem Haus. Der Mond stand fahl am noch hellen Himmel. Das Zwielicht lag wie gesponnenes Silber über diesem Märchengarten. Lena nahm
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