Schattenlord 1 - Gestrandet in der Anderswelt
den Getränkewagen in den Gang schob.
»Warum können wir nicht noch in Miami bleiben?«, nörgelte das fünfzehnjährige deutsche Mädchen, das in Reihe dreiundzwanzig links am Fenster saß. Viel zu sehen gab es außer der Tragfläche nicht. »Du hast es versprochen!«
»Wir haben keinen anderen Flug mehr bekommen«, versuchte die Mutter zu beschwichtigen. »Du versäumst schon nichts. Vierzehn Tage Bahamas dürften doch auch etwas gewesen sein, oder?«
Der Blick des Mädchens glitt zu dem blonden Model, das gerade vom Sitz aufgesprungen war und mit der Stewardess stritt. »Sie ist cool.«
»Ist sie nicht«, erwiderte die Mutter. »Sie ist verwöhnt und launisch, das geht schon seit dem Abflugbereich so. Leider kann ich sie verstehen, weil sie genau wie wir Deutsche ist.«
»Damit hat sie doch das Zeug zum Topmodel.« Der Vater lachte von der anderen Seite.
»Ich fand’s cool«, sagte das Mädchen träumerisch, stützte den Kopf auf die Hand und starrte aus dem Fenster.
»Wisst ihr eigentlich, dass wir durch das Bermudadreieck fliegen?«, erklang die Stimme ihres dreizehnjährigen Bruders, der neben dem Vater saß.
Das Mädchen verdrehte die Augen, bevor es hinübersah. »Schon seit dem Hinflug, du Langweiler!«
»Selber Langweiler!«, gab er beleidigt zurück und streckte der Schwester die Zunge heraus.
»Du solltest mit diesem kindischen Kram aufhören«, mahnte der Vater. Er hatte mit seiner Familie am Vorabend seinen siebenunddreißigsten Geburtstag auf Bimini gefeiert - und eine Woche vorher den fünfunddreißigsten seiner Frau. »Das Bermudadreieck hat schon lange nichts Mysteriöses mehr an sich. Hatte es nie, nur das, was die Gerüchte wissen wollten. Dummes Geschwätz, das dadurch an Festigkeit gewinnt, dass man ihm zu viel Beachtung schenkt.«
»Du kannst sagen, was du willst, Papa, es lässt sich nicht alles wissenschaftlich erklären.«
»Doch, lässt sich.«
»Lässt sich nicht! Wetten?«
Ein Mann in der sechsten Reihe beugte sich zu seinem Sitznachbarn. »Wann schlagen wir zu?«, flüsterte er.
»Er ist hier an Bord, er kann uns nicht entkommen«, gab der andere ebenso leise zurück. »Wir müssen bis zur Einreisekontrolle warten, dann gehst du vor ihn und ich stelle mich hinter ihn.«
»Was ist mit der Frau, die bei ihm ist?«
»Wir nehmen sie ebenfalls gefangen, sie hängt da irgendwie mit drin.«
»Ich konnte sie nicht identifizieren.«
»Natürlich nicht. Ihre Larve ist perfekt. Möglicherweise ist sie es sogar, die hinter allem steckt.«
»Also werde ich sie an mich binden, das ist ein Druckmittel gegen ihn. Er wird keinen Widerstand leisten, wenn du ihn daraufhin festnimmst.«
»Und wenn sie sich wehrt?«
»Das wird sie nicht wagen. Aufsehen ist genau das, was diese beiden Diebe am wenigsten wünschen.«
»Ob sie ahnen, was wir vorhaben?«
»Nein.«
»Ich hoffe, du hast recht.«
Sie gingen auf Distanz, als jemand den Gang entlangkam.
Der Sky Marshal trug dieselbe Uniform wie die Flugbegleiter, nur mit dem Unterschied, dass er bewaffnet war. Das mochte lächerlich anmuten auf so einer kurzen Flugstrecke, in so einem kleinen, alten Flugzeug. Doch wenn es um die Sicherheit ging, konnte nichts lächerlich genug sein.
Er hatte vorher bei einer Security-Firma gearbeitet und eine Menge Situationen erlebt, die man nicht für möglich halten mochte. Verrückte gab es überall und in allen Variationen. Es musste gar kein Terroranschlag sein, es genügte einfach, wenn einer durchdrehte. Und dafür gab es viele Gründe.
Der Sky Marshal war zweiunddreißig Jahre alt, und er hatte sein Leben lang nichts anderes betrieben als Kampfsporttraining, Training an der Waffe und Schutz von Personen. Er hatte in U-Bahnhöfen Wache gehalten, auf Konzerten die Menge zurückgeschoben, Künstler und Politiker beschützt.
Der Dienst, den er an Bord der Boeing versah, war für ihn ein Abstieg. Obwohl Flugzeuge gefährdeter denn je waren, war das etwas anderes als unmittelbarer Personenschutz, vor allem auf dieser Strecke.
Aber so lief es eben. Ein winzig kleiner Zwischenfall, und schon war er aus dem Geschäft. Der Sky Marshal sah das nur als vorübergehenden Rückschlag an. Er war jung genug, um einen neuen Start zu wagen.
Bis jetzt sah alles gut aus. In Miami wartete Loreen auf ihn. Bald hatte er genug gespart, um ihr einen angemessenen Antrag machen zu können. Danach würde er sich nach einem neuen Job umsehen, die Chancen standen gut. Ein paar Kontakte hatte er noch, die er nutzen
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