Schattenlord 12 – Lied der sieben Winde
verdingte sich als Handwerker im Palast, da er geschickte Hände hatte und es dort immer etwas zu tun gab. Sie fanden Wohnräume in einem Haus in der Nähe des Palastes. Es schien, als hätten sie das Richtige getan. Meine Mutter wurde in Freiheit geboren und machte das Glück perfekt.
Aus den Orgien und Ausschweifungen hielten sie sich heraus. Sie empfanden es nicht als so schlimm wie das Leben, aus dem sie geflohen waren – einschließlich der Sklaverei. Allerdings wollten sie nicht daran teilhaben. Um so weit aufsteigen zu können, hätten sie ihrer Ansicht nach einen zu hohen Preis zahlen müssen.
So ging alles einige Jahre lang gut. Meine Mutter wuchs heran und arbeitete schließlich im Badehaus mit.
Einmal kam eine Gruppe Reisender vorbei. Dabei war eine junge, wunderschöne Frau, und meine Großmutter erhielt den Auftrag, sich besonders um sie zu kümmern und ihre Stirn am Schluss mit einem schönen blauen Zeichen zu verzieren. Dazu erhielt Großmutter einen Tiegel mit einer speziellen Farbpaste, die sehr haltbar sein sollte. Doch die schöne Frau wandte sich an meine Mutter, die damals so etwa elf Jahre alt war, und bat sie darum, ihr zur Flucht zu verhelfen. Obwohl es nicht danach ausgesehen hatte, so sehr, wie sie umhegt wurde, schien sie eine Gefangene zu sein. Meine Mutter erzählte es ihrer Mutter, und die beiden überlegten, was sie tun könnten. Alles aufs Spiel setzen, alles riskieren für eine Unbekannte? Es war doch nur ein blaues Mal. Was konnte das schon für einen Schaden anrichten?
Großmutter sagte zu der Frau, sie könne ihr wegen der vielen Wachen nicht zur Flucht verhelfen, aber sie könne eine Farbe auftragen, die sich schon nach wenigen Tagen wieder entfernen ließe. Die Frau fing an zu weinen und beteuerte, dies würde ihr sofortiges Todesurteil bedeuten.
Was soll ich sagen? Großmutter hatte ein weiches Herz. Sie heckte mit meiner Mutter einen Plan aus, und irgendwie schafften sie es, die Frau aus dem Badehaus zu schmuggeln.
Aber natürlich flogen sie auf. Eine der Badefrauen hatte sie beobachtet und bei der Bademeisterin angeschwärzt, weil sie ohnehin eifersüchtig auf Großmutter war. Es gab einen großen Skandal, die schöne Frau wurde in der Stadt geschnappt, als sie das Tor fast erreicht hatte, und zurückgeschleppt. Ihre Reisebegleiter waren sehr aufgebracht und zerrten Großmutter und meine Mutter vor den Obersten Mäzen, um sich zu beschweren. Verständlicherweise war der Mäzen nicht erfreut, und er überlegte sich die schlimmsten Strafen, doch da bat und bettelte Großvater um Gnade. Er versprach, dass so etwas nie wieder vorkäme und Großmutter nun ihrer Pflicht nachkommen würde und so weiter.
Der Oberste Mäzen schien unwillig, doch da fiel sein Blick auf meine Mutter, und ein seltsamer Ausdruck trat in seine Augen. »Wie alt ist deine Tochter?«, fragte er.
»Elf«, antwortete Großvater.
»Dachte ich es mir doch«, sagte der Herrscher. »Also meinethalben, ihr könnt gehen, ich regle den Schadenersatz mit den Herren. Ich werde mir einen Ausgleich für euch überlegen.« Er wedelte mit der Hand. »Geht!«
Und dabei, während dieser Verhandlung, sahen meine Großeltern und meine Mutter das Füllhorn zum ersten Mal. Und erfuhren so das Geheimnis des Reichtums der Stadt. Den Obersten Mäzen kümmerte es nicht weiter, dass sie nun Bescheid wussten – wem hätten sie es denn erzählen sollen? Und wie daraus Profit schlagen?
Es ging also alles gerade noch einmal gut aus, und meine Großeltern verrichteten weiter ihre Arbeit. Nur meine Mutter wurde von Tag zu Tag unzufriedener. Sie kannte die Welt außerhalb der Stadt nicht, doch in der Stadt wollte sie unter diesen Umständen nicht mehr leben. Um Geschichten über die Welt zu erfahren, die über das hinausgingen, was ihre Eltern ihr erzählten, wechselte sie vom Badedienst in die zugehörige Taverne. Sie war noch zu jung zur Bedienung, aber sie konnte die Tische abräumen und säubern, den Boden fegen, spülen und so weiter. Und dabei konnte sie die Reisenden belauschen, wenn sie von fernen Gegenden berichteten. Und eine immer größere Sehnsucht erwuchs in ihr, fortzugehen und all jene Länder zu bereisen. Sicher wusste sie von Sinenomens Schreckensherrschaft, aber sein Arm reichte nicht überallhin, und es sollte noch Städte und Orte geben, die von ihm unbehelligt waren und wo man frei leben konnte.
Meine Großeltern, die so viel auf sich genommen hatten, waren entsetzt über ihren Wunsch und tadelten sie für
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