Schattenlord 12 – Lied der sieben Winde
rannen. »Niemals. Verzeih mir, Sandra.«
Sie löste den Klammergriff und rannte schluchzend weiter. Ist es denn noch nicht genug?
Die Antwort darauf erfolgte sogleich.
Als wäre sie gegen eine Mauer gelaufen, stieß sie auf einmal auf Widerstand, prallte zurück und stürzte.
Verstört blinzelte sie und schüttelte leicht den Kopf, bis sie wieder klar sah.
Vor ihr stand Elias Fisher.
Laura war dem verstorbenen Piloten des Unglücksflugzeuges begegnet, nachdem sie Fokke im Schach besiegt hatte. Der Handel war gewesen, dass sie bei einem Sieg mit allen Gefährten, einschließlich Sandras und Lucas, das Schiff verlassen durfte. Doch Fokke hatte falsch gespielt und die Seelen auf den Plan gerufen, allen voran Elias Fisher. Nur dank Nidis Hilfe war sie damals entkommen, doch diesmal war er nicht bei ihr – und sie hatte kein Zaubergold.
Der Pilot war in den letzten Stunden, die ihm nach dem Absturz noch verblieben waren, so etwas wie ein väterlicher Freund für Laura geworden. Sie hatten über viele Dinge gesprochen, und er hatte ihr Mut gemacht. Sie ermahnt, nicht aufzugeben.
Bereits bei der letzten Begegnung war seine Seele durch Fokke verdorben gewesen; er hatte sich nicht mehr an sein früheres Ich erinnert, sondern von Krieg und Opfern gesprochen, die dafür erbracht werden mussten.
Nun war er noch deutlich mehr gewachsen. Fokke hatte ihn nicht getrunken, sondern im Gegenteil genährt, angefüllt und vergiftet mit dem Bösen, und seine Seele war größer geworden – und dunkler.
Keine Frage, dass er für eine besondere Aufgabe gedacht war. Laura erinnerte sich an Andreas' Worte, dass er nicht der einzige »Besondere« war.
Und Fisher war nicht allein. Hinter ihm schälten sich weitere Seelen aus dem Dunst, genauso groß und finster wie er. Laura fühlte, wie sich ein gewaltiger Druck über sie legte, der sie so sehr niederpresste, dass sie sich hinsetzen musste. Gleichzeitig spürte sie, wie etwas aus ihr gesaugt wurde – ein wenig Leben, ein wenig Atem, von allem etwas. Die Kälte, die sie jetzt verspürte, kam aus ihr selbst. Sie wurde schwach, ihr schwindelte. Sie versuchte, auf die Beine zu kommen, doch sie hatte keine Kraft mehr.
»Wer seid ihr?«, flüsterte sie.
Die Stimme von Elias Fisher – sie weigerte sich, ihn anders zu sehen – war kalt und kam aus der Tiefe eines Grabes. »Wir sind die Seelenschar, und ich bin ihr Anführer. Der Krieg ist nahe, und bald werden wir über die Welt kommen.«
»Wem dient ihr?«, fragte sie weiter. Sie dachte an den Schattenlord.
»Dem Kapitän«, lautete die Antwort. »Das ist sein wahrer Plan. Dir soll er offenbart werden, damit du begreifst, an welch mächtiger Sache du beteiligt sein darfst. Dir wird große Ehre zuteil.«
»Nicht im Geringsten.« Sie keuchte. Der Druck lähmte sie mehr und mehr. Als wäre sie in einem Albtraum gefangen. In einem Körper, der ihr nicht mehr gehorchen wollte.
»Ihr könnt euch nicht gegen den Schattenlord stellen«, fuhr sie fort. »Er ist der wahre Herr. Und er befindet sich bereits hier, vielmehr seine Botin. Habt ihr sie noch nicht gesehen?«
»Wir sind die Seelenschar. Nichts kann sich uns in den Weg stellen.«
»Falsch ...« Laura rang nach Luft, sie musste um jedes Wort kämpfen. Mit gequetschter Stimme fuhr sie fort: »Elias Fisher, erinnern Sie sich! Sie waren ein guter Mensch, der zuletzt an sich dachte, sondern immer an die anderen. Nach diesem Flug wollten Sie zum Bodenpersonal, um mehr für die Familie da zu sein! Ihr erstes Enkelkind war unterwegs. Wie können Sie das vergessen?«
»Das ist vorbei, was immer es auch war. Es gibt nur das Jetzt.«
Nein. Nein, nicht auch er, es durften einfach nicht alle verloren sein! Fokke durfte es nicht gelingen, diese gute Seele bis in den Kern hinein zu verderben. Wenn Elias sich nur erinnern würde!
Laura rollte sich auf den Bauch, zog sich mühsam Zentimeter um Zentimeter nach vorn. Als würde ein Amboss sie niederdrücken, auf den nach und nach Gewichte gelegt wurden. Doch sie rutschte weiter, flach am Boden, bis sie Fisher erreichte. Sie streckte die Hand aus und umfasste sein Fußgelenk.
Und dann gab sie ihm, was sie in den letzten Augenblicken erhalten hatte. All das Leid, die Erinnerungsfetzen, den Schmerz. Sie ließ es aus sich herausströmen.
Ein Zittern durchlief die finstere Seele. Die Seelenschar wich zurück, wurde diffus und schwebte davon. Es wurde ihr zu viel, sie konnte es nicht ertragen.
Elias konnte nicht fliehen, Laura hielt ihn fest, und
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