Schattenlord 5 - Sturm über Morgenröte
zusammengezogen.
Schließlich kam jemand der Zentaurin entgegen, ein Mann und eine Frau, in abgerissenen Kleidern, dem Äußeren nach Menschen.
»Geht weg!«, sagte der Mann von Weitem. »Ihr seid hier nicht erwünscht.«
»Sei nicht dumm.« Josce blieb stehen. »Wir sind hier, um euch zu befreien!«
Die Frau spuckte etwas Dunkles aus, offenbar gekauten Tabak, denn sie hatte eine Ausbuchtung in der linken Wange. »Rede keinen Unsinn!«, fauchte sie. »Niemand wird hier befreit, und eure Leichen werden bald die Wege säumen und alle Händler von hier fernhalten. Wovon sollen wir dann leben?«
Josce schüttelte den Kopf und stampfte mit dem Vorderhuf auf. »Wovon lebt ihr denn jetzt? Seid ihr Ochsen im Joch? Seid ihr Marionetten, die an den Schnüren tanzen, wenn ihr Herr sie bewegt?«
»Es gibt keinen Ausweg«, brummte der Mann. »Ihr macht alles nur noch schlimmer. Wenn ihr verloren habt, werdet ihr tot sein oder abziehen, aber wir sind dann noch da und werden schlimmer leiden müssen denn je.«
»Dann geht fort! Oder schließt euch uns an!« Josce drehte den Kopf, als sie Bricius mit seiner Schar nahen sah, die sich erfolgreich durch die erste Verteidigungslinie kämpfte. Auch ihr eigenes Gefolge hatte den Gegnern empfindliche Verluste beigebracht und war auf dem Weg, zu ihr aufzuschließen. Alberichs Untergebene fingen an, sich zurückzuziehen; die Dorfwachen nahmen Kampfstellung ein.
Bricius landete den Adler ganz in der Nähe und sprang ab. »Was ist los?«, rief er. »Seid ihr zu feige, etwas zu unternehmen?«
»Wir lassen es nicht zu, dass ihr unser Dorf überfallt!«, schrie die Frau ihn an. »Dazu habt ihr kein Recht!«
»Herzblatt, wir würden ja gern im Zentrum landen, aber das geht aus strategischen Gründen nicht.« Der Elf raschelte mit den langen Laubsträngen auf seinem Kopf. »Und Dorf nennst du diese Abfallgrube hier?«
Das hatten auch andere Bewohner gehört. Sie rückten langsam näher, mit Mistgabeln, Sensen, Äxten und Dreschflegeln bewaffnet.
Hinter ihnen fingen die Echsensoldaten an, die Iolair zu verhöhnen und sie mit obszönen Gesten zu provozieren.
Josce zögerte. Sie hatten mit Widerstand gerechnet und waren sich uneins gewesen, was dann zu tun war. Es gab keine andere Möglichkeit, als von hier aus hinter die Mauern zu gelangen, abgesehen von einem Angriff aus der Luft, den sie aber nicht alle führen konnten.
Hoch über Morgenröte kreiste der Titanendactyle und stieß schrille, ohrenbetäubende Schreie aus. Seine Silhouette wirkte durch den nebligen Dunst noch größer und schauriger. Massen an Pfeilen und Speeren wurden auf ihn abgefeuert, aber auch von ihm aus ging ein Hagel an Wurfgeschossen auf die Mauerzinnen herab.
Josce sah Bewegungen auf der Plattform und im Geschützturm; offenbar zielte man auf ein Schleudergerät des Feindes, denn der Dactyle ging auf Sturzflug - wenn man das bei dem Riesen so sagen konnte. Zu steil konnte er nicht hinabsinken, aber er war trotzdem unglaublich schnell. Mit weit geöffnetem, zahnbewehrtem Schnabel drohte er kreischend den Verteidigern.
Weitere Flugwesen kreisten über dem Palast. Immer wieder scherte eines aus dem Verband aus und griff Zinnen oder Türme an; einige, die kleiner und wendiger waren, wagten sich bis in den Hof hinunter.
Wenigstens besaß Alberich keine nennenswerte Reiterei; Leonidas mit seiner Schar war abwesend, und was noch verblieben war, konnte der Masse der Angreifer kaum standhalten. Außerdem blieb auch der Reiterei nur der Weg über das Dorf, und das würde bald in der Hand der Iolair sein.
Die Zentaurin hatte ihre Entscheidung gefällt. Sie blickte zu Bricius, der kaum merklich nickte. Da donnerte von der linken Seite Deochar mit seinen Soldaten im Niedrigflug heran.
»Was zaudert ihr?«, brüllte er. »Macht alles nieder, was sich in den Weg stellt!«
»Und wen befreien wir dann noch?«, gab Bricius ironisch zurück.
Der Mann, die Frau und die übrigen Dorfbewohner wichen zurück.
»Den Rest von Innistìr, wer braucht die hier schon!« Deochar schickte sich zur Landung an, die Echsensoldaten befanden sich bereits auf dem Rückzug zur zweiten Linie.
Josce wandte sich an die beiden Sprecher, die völlig verunsichert waren. »Ihr habt ihn gehört«, sagte sie. »Entscheidet euch!«
Sie entschieden sich zur Flucht.
Das war nicht der Moment für leise Worte. Deochar sprang von seinem Adler und rannte den Fliehenden hinterher. »Ihr Narren!«, donnerte er, und Josce musste sich die Ohren zuhalten.
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