Schattenlord 5 - Sturm über Morgenröte
»Die Lebensader, die auch die Quelle der Unsterblichkeit nährt, kommt vom Olymp. Mit ihrer Kraft hat Lan-an-Schie das Reich errichtet und auf ihrem Fundament die Stabilität erreicht. Allerdings hält diese Stabilität seit dem Tod von Johannes und von Sinenomen nur noch so lange, wie die Schöpferin als Katalysator dient. Sie hat eine Verbindung zwischen sich und all dem hier geschaffen, und diese Verbindung zu den Ley-Linien ist abgerissen.«
Ich weiß gar nicht ...
»Du willst nie von den Ley-Linien gehört haben?« Alberich lachte. »Sie sind so alt wie alle Welten und halten sie zusammen wie dein Blutkreislauf deinen Körper. Im Grunde sind sie die Wurzeln Yggdrasils. Ihr habt an wichtigen Punkten Hochkreuze, Kirchen, Menhire und Kultstätten errichtet. Loki hat das Netz einst aufgebaut ... Aber reden wir nicht mehr von ihm.« Er zuckte die Achseln. »Er ist fort, und ich bin noch hier.«
Dann sind diese Pfade ...
»Kraftfeldlinien. Magnetisch, magisch, mystisch, physikalisch ... sie sind die Ursache für deine angeblichen Ungeschicklichkeiten. Du bist damit ebenfalls so etwas wie ein Katalysator, indem du die Energie spüren und dadurch zu einem gewissen Teil in dir aufnehmen kannst. Weil du sie aber nicht nutzen kannst wie die Elfen, bringt das in deiner Nähe Computer zum Absturz, elektrisiert andere, schafft elektromagnetische Felder und Zusammenstöße ...«
Und wenn mir die Hose am Hintern platzt?
»Das ist das natürliche Pech eines Tollpatsches, der du nun einmal trotzdem bist, weil du eben so bist.« Alberich kicherte. »Genau aus diesem Grund bist du von großem Nutzen für mich. Lan-an-Schie kann sich nicht mehr lange verborgen halten, wenn sie den Untergang ihres Reiches vermeiden will. Sie muss Verbindung zu der hiesigen Ley-Linie aufnehmen. Vielleicht genügt es, wenn sie eine der vielen feinen Verästelungen, die warmen Adern, aufsucht. Und dann kannst du sie finden.«
Laura schüttelte innerlich den Kopf. Was ist, wenn sie nicht mehr lebt? Was ist, wenn sie keine Möglichkeit hat, zu einer Linie zu gelangen?
»Dann musst du sie rechtzeitig finden und dorthin bringen. Und ja, sie lebt noch, ansonsten würde alles in rasender Geschwindigkeit zusammenbrechen. Eine wie sie stirbt nicht still und leise, sondern unter großem Getöse. Die Lücke, die sie reißt, öffnet und schließt sich mit einem großen Knall, der auch in deiner Welt zu spüren ist, da kannst du sicher sein.«
Aber warum ich ...
»Du erwartest nicht ernsthaft eine Antwort darauf, oder? Das ist das wirklich Merkwürdige an euch Menschen. Werdet ihr reich und berühmt, fragt ihr nicht danach. Wird es aber unangenehm, geht die Klage los: Wieso ausgerechnet ich und nicht ein anderer? Weil es eben so und nicht anders ist. Weil du es hast und ein anderer nicht. Ist das jetzt klar?«
Alberich ließ ihre Finger los, hob seine rechte Hand und blies ihr den restlichen Goldstaub ins Gesicht.
Laura hatte das Gefühl zu ersticken. Sie geriet in Panik, aber sie konnte sich weiterhin nicht bewegen. Es war ein grauenvoller Moment zwischen Leben und Tod, der unendliche Pein bereitete und der sich um Lichtjahre auszudehnen schien.
Der Goldstaub drang in ihr Gehirn ein, sie spürte, wie sich glitzernde Dunkelheit über ihr Bewusstsein legte, und dann ... war sie fort.
4
Die nackte
Seele
W as ist das?
Das bist du.
Laura stand da wie einst Ebenezer Scrooge mit den drei Geistern der vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Weihnacht in der Geschichte von Charles Dickens. Sie sah sich selbst winzig klein in einem Kinderbettchen.
Und neben ihr stand Alberich, jedoch nicht als guter Geist, sondern als böser Dämon, der sich boshaft grinsend über die Wiege beugte.
»Rühr sie nicht an!«, fauchte sie hasserfüllt, ohne darauf zu achten, dass sie auf einmal wieder sprechen konnte. »Alles, was du berührst, verdirbt!«
»Oh, du reines Wesen«, spottete er. »Lass uns doch ein wenig weitergehen.«
Nein ... nein ...
Noch mehr entblößt zu werden war unmöglich. Alberich holte ihre gesamte Vergangenheit ans Licht und breitete sie genüsslich aus, und dazu holte er alle Gedanken wieder hervor, die sie jemals gehabt hatte, und öffnete sie wie ein Tagebuch.
Jede Schwindelei und jede Lüge, die sie jemals ausgesprochen oder unternommen hatte.
Jede Feigheit, die sie jemals gezeigt hatte, wenn andere den Kopf für sie hinhalten mussten, weil sie sich versteckte.
Jeder kleine Diebstahl, angefangen bei den Pralinen der Eltern bis
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