Schattenlord 5 - Sturm über Morgenröte
zu den Karamellbonbons beim Bäcker. Jede Durchsuchung des Hauses auf der Suche nach Kleingeld.
Jeder wütende Gedanke auf jeden.
Jedes Gefühl seit dem Erwachen ihrer Hormone.
Jede unerfüllte Sehnsucht.
Jede Heimlichkeit. Zigaretten, Alkohol, »Muntermacher«. Küsse, Verabredungen und ... und ...
Aufhören!
Laura wollte es nicht mehr sehen, konnte nicht mehr mit ansehen, wie ihr alles entrissen wurde, was ihr zu eigen war, was nur ihr gehörte, was niemanden etwas anging. Viele Erinnerungen hatte sie verdrängt, »vergessen«, weil sie nichts mehr damit zu tun haben wollte.
Da waren auch Gefahren und Ängste, Scham und Demütigung.
Alberich stolzierte fröhlich neben ihr her und kommentierte die Geschehnisse.
Es war der schlimmste Albtraum, den Laura je erlebt hatte. Sie hätte niemals gedacht, dass es Schlimmeres als Angst geben konnte.
Es war eine beispiellose Vergewaltigung, die sie durchleiden musste. Sie sah ihre Seele vor sich, wie sie durch den Missbrauch flackerte und zerstob.
Du zerstörst mich!
Ach was, sei nicht so selbstmitleidig. Das sind doch alles völlig harmlose Begebenheiten, keine Abgründe. Du warst ein sehr langweiliges kleines Mädchen.
Sicher, das mochte gelten für einen jahrtausendealten Elfen, der schon alles im Leben gesehen und erlebt hatte. Der intrigiert, gelogen, betrogen und gemordet hatte, der eine ganze Dynastie in den Untergang getrieben hatte, der mehrmals gestorben war ...
Wäre es dir lieber gewesen, wenn ich eine Serienmörderin wäre?
Offen gestanden, ja.
Aber darum ging es ja gar nicht. Sondern darum, dass er sich ansah, was niemand sehen durfte.
Sie wusste nicht, wonach er suchte, warum er sie so gründlich sezierte, bis nichts mehr übrig blieb.
Schließlich, als sie anfingen, sich im Kreis zu drehen, schien Alberich die Geduld zu verlieren. »Wo ist er?«, rief er.
»Wo ist wer ...?«, murmelte Laura tonlos. Sie fühlte sich inzwischen stumpf und leer.
»Dein Schattenlord. Es ist unmöglich, dass er sich so sehr verstecken kann.«
»Wir haben ja noch nicht die aktuellen Erinnerungen erreicht. Damals wusste ich nichts von ihm.« Sie wurde müde. Der goldglitzernde Himmel über ihr verblasste.
»Diese Erlebnisse kenne ich bereits. Angela ist eine gute Erzählerin.«
»Aber sie kennt den Schattenlord nicht.«
»Du auch nicht!«
»Er ist wahr .« Laura klammerte sich daran fest. Da waren die Fünf Sucher, die sie nicht nur einmal belauscht hatte. Da war die offene Bedrohung im Zombiedorf gewesen, als er scheinbar Luca umgebracht hatte. Da war seine flüsternde Stimme in ihrem Inneren, ihr Gespür, wenn sie seine Präsenz erkannte. Und der Mondelf in einem frühen Traum, schon bald nach ihrer Ankunft in diesem Reich.
Das alles schleuderte sie Alberich entgegen, Hauptsache, er verließ endlich ihre Vergangenheit.
Er wischte es einfach beiseite. »Mumpitz!«, konstatierte er zornig. »Gib mir endlich, was ich will!«
Ich habe dir alles gegeben, was willst du denn noch ... Der Schmerz überwältigte sie von Neuem. Du hast kein Recht dazu, mir das anzutun ...
»Mit Recht habe ich nun ganz und gar nichts zu tun, du naives Menschenkind«, erwiderte er. »Diese menschlichen Begriffe sind auf mich nicht anzuwenden.«
Hilft mir denn niemand ...?
Alberich beachtete sie nicht. Er grub sich weiter durch ihre Erinnerungen, zerstückelte nun alles, was seit dem verhängnisvollen Flug geschehen war, lachte und kicherte über ihre Ansichten zu den verschiedenen Passagieren, über ihre unzüchtigen Gedanken bezüglich Milt. »Bei dir zu Hause könnte ich eine Menge Geld damit verdienen. Stell dir nur vor, wenn das öffentlich würde!«
Laura versuchte ihn anzugreifen, ihn aus sich zu verdrängen, irgendetwas zu tun. Doch sie wurde einfach nur immer weniger, entfernte sich stetig weiter von sich selbst, wurde zusehends stumpfer und leerer.
Und dann kam er plötzlich nicht mehr weiter. »Was ist ...«
Laura blieb auf Distanz und beobachtete ihn, wie er gegen etwas anrannte, was sie nicht sehen konnte. Genauer gesagt war da überhaupt nichts mehr.
»Das ist unmöglich!« Der Drachenelf schnaubte und sah mehr denn je wie ein Dämon aus, Hörner und Schuppen wuchsen aus ihm, seine Augen glühten, und ebenso leuchtete Höllenfeuer aus seinem Rachen. Mit riesigen Krallen schlug er auf das Nichts ein, das ihm Widerstand bot.
Vielleicht ist da nichts mehr. Laura konnte es nicht einmal sicher sagen. Sie wusste nicht, was dieses Nichts war, ob es das Ende von ihr
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