Schattenlord 5 - Sturm über Morgenröte
seiner Weste, warf ein wenig schwarzen Staub in die Luft und vollführte Bewegungen mit den Händen. Anstatt langsam herniederzusinken, formierte sich der Staub zu einem Oval, wirbelte dabei durcheinander, bis die Oberfläche glatt und fest aussah, und wie auf einem Bildschirm flimmerte auf einmal ein Bild. Zuerst sehr undeutlich wie bei den früheren Diaprojektoren, an denen man ewig herumhantieren musste, bis die Fotografie scharf wurde.
Ein Schwarz-Weiß-Film wie aus dem späten neunzehnten Jahrhundert spulte sich ab, mit Aussetzern und wiederkehrenden Unschärfen; ein Stil, wie er heutzutage gern für Horrorfilme verwendet wurde, wenn die Rede auf eine schauerliche alte Legende kam.
»Schau gut zu«, forderte er Milt boshaft grinsend auf.
Vor den entsetzten Augen der Gefangenen spielte sich eine unvorstellbare Szene ab.
Das Bild existierte auf gewisse Weise doppelt und sich überlagernd. Laura war zu sehen, wie sie an einem großen Banketttisch saß, zusammen mit Alberich. Auf dem Tisch standen erlesene Speisen, und Alberich griff zu, doch Laura rührte nichts an. Angst und Leid waren ihr anzusehen.
Und dann löste sich von Alberich auf einmal ein Schatten, der in Laura hineinsickerte, diffundierte, und während die beiden beteiligten Personen nach wie vor am Tisch sitzend zu sehen waren, zeigte sich im Vordergrund etwas ganz anderes.
Es brauchte nicht viel Phantasie, um zu erkennen, dass es sich um Lauras Gedanken und Erinnerungen handelte. Alberich wanderte durch ihren Verstand, griff hierhin und dorthin, riss von irgendwoher Seiten wie aus einem Buch, die er vor sich ausbreitete und interessiert studierte.
Obwohl kein Laut zu hören war, übermittelte Lauras geöffneter Mund ihre Schreie auch stumm. Sie versuchte Alberich zu hindern, sich zu verstecken, doch er griff mühelos zu und entblößte sie Zug um Zug.
Die Ausschnitte, die Lauras Erinnerungen entrissen wurden, zeigten nur Ängste, Verfolgungen, Demütigung und Ausgrenzung. Und dazwischen immer wieder Laura, die um ihre Seele kämpfte, aber hoffnungslos unterlag.
Irgendwann zerbrach und zersplitterte ihre zarte Gestalt, und das war auch das Ende der Vorführung.
Bevor Alberich etwas sagen, bevor auch nur einer der anderen sich rühren konnte, stieß Milt einen lauten Schrei aus. Am ganzen Leib zitternd, ging er auf den Drachenelfen los, und es gelang ihm tatsächlich, ihn mit seinen Fäusten zu treffen. Dadurch drehte er erst recht durch und gab nun alles, schreiend, spuckend, fluchend setzte er seinen gesamten Körper ein. Jeden anderen hätte er damit längst krankenhausreif geschlagen.
»Auf ihn!«, schrie Jack und sprang Milt bei, ebenso Andreas und auch Felix. Norbert und Maurice wagten weiterhin keinen Schritt vor und hinderten wenigstens Sandra und Luca daran, sich einzumischen.
Alberich stank plötzlich nach Schwefel, und sein Gesicht verzerrte sich zur hässlichen Fratze, als er sich solchermaßen angegriffen sah. Trotz seiner Wut und seiner Macht konnte er der Situation nicht wieder Herr werden, befand sich in der Defensive.
Und da kam Nidi.
Der Schrazel schoss schrill kreischend in den Raum, sprang Alberich auf den Rücken und traktierte ihn mit seinen zarten kleinen Fäustchen. Eine lächerlich anmutende Pose, doch sie zeigte Wirkung, Alberich brüllte vor Schmerz auf. Aus Nidis Händen rieselte Goldstaub, der sich wie Säure durch die Kleidung fraß und brennende Male auf der Haut hinterließ.
Für einen Augenblick sah es so aus, als würde Alberich zu Boden gehen, als würden sie ihn endlich in ihre Gewalt bekommen.
Der Kopf des Pegasus ruckte herum, und er stieß ein Wiehern aus. Veda glaubte ebenfalls, etwas gehört zu haben, und lenkte Blaevar in die Richtung.
Sie sah, wie jemand vor einem Seitenflügel des Palastes aufgeregt auf und ab sprang und heftig mit den Armen wedelte. Er sah gezielt sie an, wollte ihre Aufmerksamkeit!
Die Amazone brachte den Speer in Anschlag und ging tiefer.
»Ich bin kein Feind!«, schrie der schmale, blonde junge Mann, offenbar ein Mensch, ohne Rüstung und völlig waffenlos. Ein unglaublich tapferer Mann - oder ein komplett Verrückter, was wahrscheinlicher war. Sie sollte gleich mit ihm Schluss machen, schon aus Erbarmen.
Ihre Armmuskeln spannten sich an, und sie nahm Maß. Der Tumult um sie herum kümmerte sie nicht.
Obwohl nackte Angst auf seinem fahlbleichen Gesicht stand, als er die Speerspitze auf sich gerichtet sah, wich und wankte der junge Mann nicht, sondern sprang weiter hin
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