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Schattenlord 6 - Der gläserne Turm

Schattenlord 6 - Der gläserne Turm

Titel: Schattenlord 6 - Der gläserne Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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seine Wurzeln zerquetscht haben, war ein unglücklicher Zufall, nicht mehr.« Er fügte noch etwas hinzu, aber die Worte gingen im Entrüstungssturm der Laubbäume unter.
    »Die würden sich gegenseitig zerfleischen, wenn sie könnten«, sagte Finn. »Glaubt ihr, dass sie uns überhaupt noch bemerken?«
    »Willst du abhauen?«, fragte Milt zurück. Er war kaum zu verstehen, so laut schrien die Bäume.
    »Versuchen können wir’s, oder? Was meinst du, Nidi?«
    »Ich bin dabei. Laura?«
    Keine Antwort.
    »Laura?«, fragte Milt lauter. »Hast du gehört, was Finn vorschlägt?«
    Stille, dann spürte Finn eine Bewegung neben sich. Milt tastete sich durch das kleine Lager.
    »Ich kann sie nicht finden.«
    Finn fackelte nicht lange und handelte wie ein Pfadfinder. Eine kleine Flamme loderte auf.
    »Feuer!«
    Der ganze Wald schien das Wort hervorzustoßen. Ein Ast schnellte über den Weg und schlug Finn gegen die Hand, von der anderen Seite flog ein Klumpen Dreck und begrub das Flämmchen unter sich. Dann, so als wäre nichts geschehen, setzten die Bäume ihren Streit fort.
    Finn hatte nur ein paar Sekunden Zeit gehabt, sich im Lager umzusehen, doch das hatte ihm gereicht. Laura lag nicht unter ihrer Decke. Sie war nirgendwo zu sehen.
    »Wo zur Hölle ist sie?«

17
    Die Trauer
    der Weiden
     
    E s war ein menschliches Bedürfnis, das Laura die Augen öffnen ließ. Die Bäume redeten immer noch, doch sie klangen nicht mehr ganz so freundlich wie zuvor. Laura lauschte in die Nacht hinein. Ihre Begleiter schliefen, sie hörte ihre Atemzüge und Nidis leises Schnarchen. Kurz überlegte sie, Milt zu wecken, doch dann entschied sie sich dagegen. Sie würde das Lager nur ein paar Minuten verlassen, und er brauchte den Schlaf so wie sie alle.
    Laura schlug die Decke zurück und stand auf. Die Nächte Innistìrs waren stellenweise dunkler als die in der Menschenwelt. In diesem Wald sah sie nur Schwärze. Mit ausgestreckten Armen tastete sie sich vorsichtig über den Weg. Die Bäume beachteten sie nicht, redeten weiter über Nidis Geschichten, selbst als sie den ersten Stamm berührte.
    Auf dem Weg bleiben, dachte sie. In der Dunkelheit war die Gefahr, sich zu verlaufen, groß.
    Laura zählte die Schritte. Bei zehn hielt sie an und hockte sich hin. Schatten tanzten vor ihren Augen, wurden zu Gesichtern und bizarren Formen. Ihr Gehirn versuchte, die Schwärze mit eigenen Bildern auszufüllen.
    Sie stand auf und drehte sich langsam um. Auf dem Hinweg waren die Bäume auf ihrer rechten Seite gewesen, also mussten sie nun links stehen, aber als sie die Hand ausstreckte, griff sie ins Leere. Ihr Herz begann, schneller zu klopfen, ihr Mund wurde trocken. Sie konnte sich nicht verlaufen haben, nicht nach nur zehn Schritten.
    Laura zwang sich zur Ruhe. Mit ausgestreckten Armen drehte sie sich langsam im Kreis. Ihre Fingerspitzen berührten raue Rinde, dann Blätter. Der Baum stand genau vor ihr. Sie drehte sich zur Seite, machte einen Schritt nach vorn und stieß erschrocken den Atem aus, als Zweige ihr Gesicht streiften.
    Das kann nicht sein, dachte sie. Ich habe den Weg doch nicht verlassen, oder?
    Einen Moment lang fragte sie sich, ob die Bäume sie absichtlich einkreisten, aber dann schüttelte sie den Gedanken ab. Nichts wies darauf hin, dass sie sich bewegen konnten. Sie bildeten zwar Barrieren und konnten mit ihren Ästen um sich schlagen, doch ihre Wurzeln waren fest im Boden verankert. Wenn es anders wäre, hätten sie sich nicht so gelangweilt.
    Sie drehte sich erneut zur Seite, stieß jedoch auch dort auf einen Baum und dann noch einen und noch einen. Um sie herum wurden die Stimmen der Bäume lauter und wütender. Laura war kurz davor, sie nach dem Weg zu fragen, aber dann fragte sie sich, ob sie vielleicht durch diesen Zufall eine Möglichkeit gefunden hatte, den Wald zu verlassen. Wenn die Bäume sie in der Dunkelheit nicht sahen, konnte das ihre Chance sein.
    Vorsichtig tastete sie sich weiter, beruhigte sich damit, dass sie im schlimmsten Fall nur ein paar Stunden Schlaf verlor. Wenn der Morgen kam und sie immer noch durch den Wald irrte, würden die Bäume sie schon zurück zum Lager bringen.
    Wenn sie sich bis dahin nicht gegenseitig umgebracht haben, dachte sie. Der Streit klang so, als hätten sie ihn schon tausendmal geführt, ohne je zu einem Ergebnis zu kommen. Er war eine alte Wunde, die nicht heilen konnte, weil jemand sie immer wieder aufriss.
    Laura stolperte über eine Wurzel, fing sich aber, bevor sie stürzen

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