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Schattenlord 6 - Der gläserne Turm

Schattenlord 6 - Der gläserne Turm

Titel: Schattenlord 6 - Der gläserne Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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beachtete sie nicht. »Eine Tanne ... wie bemerkenswert.«
    Es klang so verträumt, als sähe er sich selbst bereits in dieser Rolle. »Erzählt mir eine Geschichte über diesen Yggdrasil. Was für Heldentaten hat er vollbracht?«
    »Viele«, log Nidi. »Ohne ihn wären die Götter verloren gewesen.«
    »Aber«, sagte Laura, bevor der Schrazel weiterreden konnte, »die wird er dir heute nicht mehr erzählen. Nidi ist müde und heiser.«
    »Dann wirst du sie erzählen.« Groddaruks Äste schlugen aus. Nadeln rieselten zu Boden.
    Laura schüttelte den Kopf. »Eine Geschichte ist nur so gut wie ihr Erzähler. Und du hast den besten. Mach ihn dir nicht kaputt, nur weil deine Ungeduld über deinen Verstand siegt.«
    Gut argumentiert, dachte Finn. Er und Milt saßen mit übereinandergeschlagenen Beinen am Rand des Wegs, an Bäume gelehnt, die sie zuvor um Erlaubnis gebeten hatten. Laura hockte neben Nidi. Sie hatte ihn die ganze Zeit über mit Wasser versorgt.
    Groddaruk schwieg einen Moment. »Also gut«, sagte er dann. »Ich verstehe nicht viel von Weichrinden und muss mich auf dein Wort verlassen. Morgen früh fahren wir fort.«
    »Und wie lange?«, fragte Laura. »Bis unsere Vorräte aufgebraucht sind und wir sterben?«
    Weder Groddaruk noch ein anderer Baum antworteten.
    Sie legten die Decken nebeneinander und aßen ein wenig, obwohl Finn sehen konnte, dass keiner von ihnen wirklich hungrig war. Auch er musste sich zum Essen zwingen, und das lag nicht nur daran, dass sie seit Tagen das Gleiche zu sich nahmen. Über ihren Köpfen redeten die Bäume miteinander. Sie diskutierten die Geschichten, die Nidi erzählt hatte, und sprachen über die Antworten auf ihre Fragen. Ab und zu wandte sich ein Baum an die Weichrinden, doch Groddaruk schritt jedes Mal ein. Ansonsten beteiligte er sich nicht an der Unterhaltung. Finn nahm an, dass seine Gedanken immer noch um den Weltenbaum kreisten.
    »Wir sollten uns Groddaruks Größenwahn irgendwie zunutze machen«, sagte er, als sie sich hingelegt hatten. Die Bäume sprachen so laut miteinander, dass er nicht befürchtete, belauscht zu werden.
    Milt verzog das Gesicht. »Er ist größenwahnsinnig, aber er weiß, was er will. In diesem Fall sind das unsere Geschichten. Er wird uns nicht gehen lassen, nur weil wir irgendwas behaupten.«
    »Aber vielleicht lässt er uns gehen, wenn wir ihm nicht geben, was er will«, sagte Laura.
    Nidi, der neben ihr hockte und an seinem Fell zupfte, seufzte. »Oder er bringt uns um. Die Bäume sind stärker als wir und in der Überzahl.«
    Seine Worte weckten etwas in Finn, keine Idee, aber zumindest den Ansatz von einer.
    »Wenn wir weiter nach ihren Regeln spielen«, sagte Laura, »werden wir ebenfalls sterben. Die Bäume langweilen sich ohne Unterhaltung. Sie werden uns bis zum letzten Wort auspressen.«
    Finn glaubte, die Idee beinahe greifen zu können, aber noch entzog sie sich ihm wie ein Wort, das ihm auf der Zunge lag. Er drehte sich auf den Rücken, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lauschte den Unterhaltungen der Bäume. Irgendwann schlief er ein.
    Und fuhr mit einem Ruck hoch.
    Finn wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte. Es war immer noch dunkel, die mond- und sternenlose Nacht war eine undurchdringliche schwarze Wand. Die Bäume schrien einander an, ihre Stimmen überschlugen sich. Sie beschimpften sich gegenseitig, so viel war Finn klar, doch worum es ging, konnte er nicht verstehen. Die Worte gingen in dem Stimmengewirr unter.
    »Was ist denn los?«, fragte er.
    »Keine Ahnung«, sagte Milt. »Ich bin gerade erst aufgewacht.«
    »Ich glaube, die Laubbäume sind wütend, weil die Nadelbäume darüber bestimmen wollen, welche Geschichten erzählt werden.« Nidis Stimme. Sie klang fast so heiser wie am Abend.
    »Ihr seid nicht besser als wir!«, schrie Bekka, die Pappel, in diesem Moment. »Auch wenn ihr euch das einbildet!«
    Entrüstete Rufe und lautes Rascheln antworteten ihr. Groddaruks Stimme setzte sich schließlich durch.
    »Es ist kein Zufall, dass seit Anbeginn des Waldes noch nie ein Laubbaum die Herrschaft übernommen hat. Euch fehlt die geistige Reife.«
    »So ein Unfug!« Finn wusste nicht, wer da antwortete. »Hier stehen Laubbäume, die zehnmal älter und weiser sind als du.«
    »Zeig mir einen!«
    Die Stimme verstummte.
    »Das könnten wir«, mischte sich Bekka erneut ein, »aber dann würde ihm vielleicht das Gleiche passieren wie Kabbai damals.«
    »Ich hatte nichts damit zu tun. Dass meine Schösslinge

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