Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
»Tja, Herr Pohlmann, da staunen Sie, was? Jetzt spitzen Sie mal die Ohren, denn bis hierher war alles Peanuts. Kinderkacke. Die richtig netten Sachen erzähle ich Ihnen jetzt. Der Grund, warum ich ausgestiegen bin, liegt in dieser kleinen, unscheinbaren Schachtel.« Sokolow blickte abwechselnd in die Gesichter seiner beiden Gesprächspartner. »Elektronische Fußfesseln nützen nur etwas, wenn ich den Gefangenen auch tatsächlich am Ausbruch hindern kann.«
Martin stimmte ihm nickend zu und wartete ab. Das Gespräch nahm eine zunehmend ernste Färbung an.
»Begonnen haben wir mit Strom. Elektroschocks, die die Beine lähmten. War schon nicht schlecht, aber mit zunehmender Distanz zum Flüchtling wurde unser Zugriff schwieriger. Die richtig zähen Burschen waren bald wieder auf den Beinen und liefen weiter. Dann bekamen sie neue Fußfesseln montiert, bei denen auf Knopfdruck per Satellit ein Mechanismus ausgelöst werden konnte. Wagten sie einen ernstgemeinten Fluchtversuch, wurde ihnen per Fernsteuerung ein langer Stachel in die Achillessehne geschossen. Ganz einfach. Quasi per Handy. Mit dieser Technologie waren wir schon recht zufrieden, aber es schien uns noch nicht elegant genug. Zu martialisch. Sind Sie schon mal mit verletzter Achillessehne gelaufen?«
Martin verneinte stumm.
»Dann kamen die ersten RFID-Chips auf den Markt und uns allen ging ein Licht auf. Wir experimentierten mit diesen Chips in Zusammenarbeit mit Biologen, Medizinern und Pharmakologen. Es ging in erster Linie darum, ein Material zu finden, das sich im Körper nicht verändert. Man sagt dann, es verhält sich ›bioinert‹. Vor allem aber interessierte uns, was man mit dem Chip alles anstellen kann. Zunächst dachten wir an eine Art Einbahnstraße, also dass uns der Chip Daten liefert, wir aber keine Daten auf dem Chip verändern können.«
Martin rieb sich am Kinn. Die Maske juckte. »Ich nehme an, Sie fanden einen Weg, dies zu tun.« Der Monolog Sokolows ermüdete ihn.
»Allerdings. Es wurde möglich, über eine bestimmte Schnittstelle nicht nur die Herzfunktionen zu lesen …«
Martin unterbrach ihn, als er sich an die EKG-Diagramme auf dem USB-Stick erinnerte. »… sondern die Herzfunktionen zu verändern.«
Sokolow starrte Martin an. Ein Nicken war nicht nötig.
»Zunächst waren die Absichten durchwegs in Ordnung. Wir diskutierten, wie wir einen Flüchtling an der Flucht hindern könnten. Wir experimentierten zunächst mit Menschenaffen und stellten fest, dass wir die Herzfrequenz über eine spezielle Codierung derart beeinflussen konnten, dass der Affe nach einer Provokation trotzdem nicht fliehen konnte. So sehr er sich auch anstrengte, er war zu keiner körperlichen Fluchtreaktion in der Lage. So wie in einem Traum. Kennen Sie das? Sie träumen, dass Sie verfolgt werden, möchten wegrennen, aber können es nicht. Sie sind wie gelähmt. Genauso war es bei den Affen. Wir hatten es geschafft, den Chip neu zu programmieren. Wir waren selber überrascht, was wir gewissermaßen durch einen Zufall herausgefunden haben. Welch großartige medizinische Möglichkeiten taten sich auf? Ein extern über Tausende Kilometer programmierbarer Herzschrittmacher, wenn man so will. Das ist doch eigentlich brillant, oder?«
Martin blickte zu Sokolow, der sein Referat zu genießen schien. Dann sah er zu Jerome, der heftig atmete und Schweißflecken auf seinem Hemd zeigte. Eine Veränderung schien in ihm stattzufinden. Mit jedem von Sokolow gesprochenen Wort wurde er nervöser, ängstlicher. Es schien, als halte er sich im Zaum, nichts war zu spüren von seiner gespielten Lockerheit, seiner Coolness. Jerome kannte Sokolow und spürte, dass er die eigentliche Katze, das Raubtier, noch nicht aus dem Sack lassen wollte.
Martin beobachtete Jerome, schuldete Sokolow jedoch eine Antwort. »Ich kann das nicht so derart verwerflich finden. Ich bin Polizist. Wer möchte schon gern Sexualstraftäter wieder frei auf der Straße herumlaufen sehen? Ihn über Distanz zu kontrollieren, scheint okay zu sein.«
»Tja, wenn es das nur allein wäre, wäre es vielleicht okay. Ich gab Ihnen zu bedenken – der Mensch ist böse. Der springende Punkt kommt jetzt. Wir waren nicht damit zufrieden, dass nur Verbrecher diesen Chip bekommen sollten. Was ist mit unbescholtenen Bürgern, die sich noch zu Verbrechern entwickeln würden? In jedem guten Menschen steckt die Potenz des Bösen. Der gehörnte Ehemann, der seine Frau im Bett mit dem Nachbarn erwischt, der den
Weitere Kostenlose Bücher